Kantige Eiswürfel klimpern im Glas, die Sonne geht hinter dem Palmenstrand unter, ein lässiger Panama-Hut – natürlich begleitet Zigarrenrauch dieses Idyll … Im Kopf-Kino gehört zum Entzünden einer Zigarre auch in klimatisierten städtischen Cigar-Lounges ein imaginärer Cocktail dazu. Vorzugsweise mit Rum gemixt, versteht sich, um die Illusion vom karibischen Lebensgefühl so richtig lebendig werden zu lassen. Für das „Cigar Journal“ erfüllte sich dieser Traum vom Insel-Urlaub im Glas gleich dreißig Mal. Mitten in Wien und bei einem der forderndsten Tastings überhaupt gingen wir der Frage nach, wie es abseits der Klischees wirklich um die Harmonie von Cocktails und Zigarren steht. Um eine gewisse thematische Fokussierung der Ergebnisse zu ermöglichen, beschränkten wir uns auf die wesentlichen Spirituosen Mittelamerikas. Denn allein mit den vielfältigen Gin-Drinks oder allen Bourbon-Klassikern der Bar-Geschichte ließe sich ein eigenes Tasting veranstalten. Ohne jede Einschränkung würden bei der naturgemäß begrenzten Aufnahmefähigkeit von Cocktails sonst Äpfel mit Birnen verglichen. Stattdessen entschieden wir uns daher für einige der bekanntesten karibischen Rezepturen – vom Mojito über den Daiquiri – und für die wichtigsten Drinks mit Tequila, Cachaça, Pisco und Mezcal. Den schweißtreibenden Job, diese jeweils zehn Drinks zu den drei Zigarren zuzubereiten, übernahm Erich Wassicek. Der Chef der „Halbestadt“ hatte die Rezepturen in aufsteigender Intensität (von erfrischend bis maskulin) gereiht und blieb seinem legendären Qualitätsanspruch treu. Nur die beste Cocktailminze und kubanischer Honig, in Wien wahrlich schwer zu finden, kamen unter anderem zum Einsatz. Gemeinsam mit seiner Gattin Konny Wunder ließ er die Shaker im Takt der U-Bahn, die über die Bar dahindonnert, rotieren.
DER MINZIGE ALLROUNDER
Zu jeder der drei Zigarren – sie stammten vom Schweizer Traditionshaus Villiger, von der Marke Macanudo und von La Flor Dominicana – wurden alle zehn Drinks verkostet. Passen die Aromen der beiden Partner und ergibt sich im Idealfall sogar eine Steigerung des Rauchgenusses durch den flüssigen Begleiter? Diese beiden Fragen hatte die Jury zu klären, wobei sich erneut zeigt, dass die Erwartungen aufgrund des persönlichen Rauchgeschmacks nicht immer eintreffen müssen. Für viele Passionados erwies sich in der „Halbestadt“-Bar die leichteste Zigarre im Test als überraschend harmonisch zu vielen Drinks. Die Villiger Celebration 125th Anniversary wurde zum 125-jährigen Bestehen des Schweizer Zigarrenunternehmens aufgelegt. Speziell mit dem erfrischenden, von tollen Minzaromen getragenen Mojito, den Erich Wassicek mixte, befand sich die helle Zigarre auf Augenhöhe. „Wenn der Drink so gemacht ist, passt das perfekt“, präzisierte Bar-Kollege Heinz Kaiser aus dem „Dino’s“. In seiner Bar serviert man den Rum-Klassiker etwas süßer, „da wird der Drink zu dominant zur Zigarre“. Dass auch die Art der Zubereitung ins Gewicht fällt, lernten die Verkoster also gleich in Runde eins des Kostmarathons. Doch der Punkt, den der erfahrene Bartender damit ansprach, beschäftigte das Panel an diesem Nachmittag noch öfter. Denn je mehr Komponenten einem Cocktail Balance und Vielschichtigkeit verleihen, desto schwieriger hält er mit dem rauchig-herben Charakter der Zigarren mit. Die bitteren und röstigen Noten der Puros ergeben schließlich eine weitere Geschmackskomponente, die sich in die bereits ausgewogene Cocktailmischung erst einbinden muss. Der eher kühl wirkende Mojito mit der Kräuterfrische der Minze konnte das in unserem Test offenbar besonders gut. Die Plätze zwei bis vier im „Harmonie-Indix“ von Zigarre und Cocktail gehen an diesen Drink. Er ist damit der Allrounder unter den verkosteten Cocktails, auch wenn er es nicht ganz an die Spitze geschafft hat.
BARTENDER, KEEP IT SIMPLE!
Ebenfalls als beliebte Wahl zur an der Bar genossenen Zigarre erwies sich der von seriösen Barkeepern gern belächelte Strand- und Partydrink Caipirinha. Auch die „Caipi“ schaffte es drei Mal in unsere Top der Pairings, am besten passte sie zur milderen Villiger. Umgekehrt zeigt sich, dass der vergleichsweise einfache „Canchánchara”, im wesentlichen mit Honig gesüßter Rum mit Limettensaft, vor allem Formate mit cremigem Rauch unterstützt. Zur Villiger ist der spätere Siegercocktail definitiv nicht die erste Wahl. Von einem „Vampireffekt“ spricht Heinz Kaiser bei diesem Pärchen, denn der „Drink ist so genial, dass er die Zigarre „killt““. Der schmeichelnde Geschmack des Aguardiente („der Drink wird nicht mit normalem Rum zubereitet“, bestand Barchef Wassicek auf dem Originalrezept) blüht aber dann mit den körperreicheren Zigarren der zweiten und dritten Verkostrunde förmlich auf. In Summe erwies sich dieser Cocktail zur Macanudo Inspirado Black Cañonazo mit einem beachtlichen Schnitt von 8,2 Punkten pro Verkoster im 10-Punkte-Schema als eindeutiger Sieger. Die mittelkräftige Zigarre und der ausgewogene, einfache Rum-Cocktail wirkten wie für einander gemacht.
HERAUSFORDERUNG LIMETTE
Bei allen Unterschieden der Drinks war den Verkostern eines rasch klar: Das kritische Element stellte die Säure dar. Sie zählt zur DNA der meisten Cocktails, die – sehr vereinfacht gesagt – ein balanciertes Süße-Säure-Spiel rund um eine Basisspirituose ins Glas bringen. Seit den Zeiten des britischen Freibeuters Francis Drakes, der der Legende nach seine Seeleute in der Karibik mit dem später nach ihm benannten Rumgemisch „El Draque“ kuriert haben soll, zählt die Mischung aus Zitrusfrüchten und Zucker mit Rum zu den mittelamerikanischen Klassikern. Für das Zigarren-Pairing ist aber genau das, was diesen Drinks die Frische gibt, etwa der Limettensaft, zumeist ein störendes Element, weil es die Bitterkeit des Tabaks über Gebühr erhöhen kann. Vor allem bei der Verwendung von Grapefruit, wie sie etwa bei der „Paloma“ zum Einsatz kommt, verstärkt sich der herbe Eindruck noch mehr. Bei den Rum-Cocktails kann die Zuckerrohr-Spirituose je nach Süßegrad einiges „retten“. „Tequila und Mezcal machten mir meist Schwierigkeiten“, erstellte etwa Bar-Consultant Andreas Obermeier sein persönliches Ranking der Basisspirituosen unserer Drinks.
ZARTE PARTNER, STARKER GENUSS
Mitunter funktionieren aber auch gegensätzliche Pairings durchaus. „Das ist wie ein Tango – man geht lange auseinander und trifft sich am Ende doch“, wird Zigarrenhändler Ercan Hazar fast poetisch angesichts der Kombination der Daiquiri-Abwandlung „Santa Marta“ mit der Macanudo Inspirado. Aber es kann auch anders kommen. „Ein Tumult von Aromen“, schreit etwa Stefan Maran auf, als er die La Flor Dominicana Oro No. 6 mit dem „Last Word“-Cocktail probiert. Die alkoholreiche Kombination der aromastarken Partner Chartreuse und Mezcal überfordert selbst die kräftigste Zigarre in der Verkostung. Für Andi Obermeier, selbst ein Urgestein der Barszene, geht die „Oro“ mit dem Caipirinha wiederum eine gute Symbiose ein. „Das Zuckerrohr und die Zigarre passen überraschend gut.“
MORE OF THE SAME? BITTE NICHT!
Die nach dem Motto „gleich und gleich gesellt sich gern“ erfolgt Paarung der drei Puros mit dem besonders rauchigen Mezcal von Alipus (Erich Wassicek wählte ihn eben wegen der „Smokyness“ aus) fand hingegen kaum Freunde. Je kräftiger die Zigarre, desto mehr lehnte die Jury die beiden Cocktails mit dem Agaven-Brand, ein „Last Word“ und ein „Green Point“, ab. Bei der Villiger Celebration, der mildesten Zigarre, funktionierte die Kombination mit dem momentan international angesagten mexikanischen Destillat noch am besten. „Wenn sehr intensive Aromen ins Spiel kommen, ist die cremige Milde der Zigarre angenehm“, analysierte Barkeeper Heinz Kaiser ihre Vorzüge. Für Michael Mattersberger ist der „Green Point“-Cocktail mit Mezcal ein „toller Drink, es gibt nur keine Harmonie mit den Zigarren“. Einen interessanten Lernpunkt, der sich gegen diese Art der intuitiven Getränkewahl richtet, fasste Südamerika-Kenner Klaus Piber zusammen: „Dass kräftigere Zigarrenformate nach starken Drinks verlangen, hat sich nicht bestätigt“, so der Gründer des Restaurants „Mercado“ am Ende der intensiven Versuchsanordnung. Und natürlich ist man auch nach 30 Cocktailproben nicht vor dem beliebten Spiel „Was wäre, wenn …“ gefeit. Hätte man noch andere Rezepturen einbauen sollen? Mit einem relativ straighten Drink wie einem „Manhattan“ hätte das Ergebnis wohl anders ausgesehen, resümierte etwa Spirituosenkenner Michael Mattersberger. Stimmt! Daher können wir schon jetzt versprechen: Fortsetzung folgt … in einem weiteren Cigar Journal-Tasting!
Fotos: Isabella Petricek