Von wegen kalter Kaffee!

Ohne den Hinweis auf Röstnoten oder Bitterstoffe kommt kaum eine Zigarrenbeschreibung aus. Der Kaffee bringt davon ebenso viel mit. Doch im Gegensatz zum händischen Zigarrenrollen, das auch in der modernsten „Fabrica“ eine fast archaische Technik darstellt, hat die Kaffeewelt mehrere Revolutionen hinter sich. In der „Third Wave“ blühten weltweit die Barista-Läden auf, die sich hingebungsvoll Röstgraden und Herkunftsländern widmeten. Seither ist man mit fließenden Übergängen bei der „Fifth Wave“ der Kaffeezubereitung angelangt. Und einer ihrer Stars ist der „Cold Brew“: Statt unter Druck und mit heißem Wasser in kurzer Zeit Aromen aus den gemahlenen Bohnen zu extrahieren, geht man dabei den umgekehrten Weg. Bis zu 24 Stunden weicht das grobe Kaffeemehl in kaltem Wasser auf, ähnlich wie man es mitunter im Sommer beim Eistee praktiziert, der über Nacht im Kühlschrank seinen Geschmack aus den Blättern zieht. Kann diese Art des Kaffees auch zu Zigarren passen? Das war die Forschungsfrage, der sich acht Genießer im Wiener Palais-Hotel Hansen Kempinksi widmeten. Verkostet wurden dabei sechs verschiedene Herkunftskaffees, um die aromatische Vielfalt zu zeigen, aber auch ein Nachkaufen der am besten bewerteten Kaffees zu ermöglichen. Daher verzichteten wir im Test auch auf Kaffeemischungen, die nicht international erhältlich sind. Fachgeschäfte allerdings sollten die „Single Origins“ entweder führen oder aber besorgen können, um die Pairings der Jury mit eigenen Zigarren nachvollziehen zu können. Bei der Zubereitung gab es drei verschiedene Varianten: Neben den in Flaschen gefüllten Cold Brews „J. Hornig“ (aus einer Grazer Traditionsrösterei) und „Kaffeetschi“ (vom Wiener Barista Amar Cavic), die pasteurisiert wurden, fanden sich auch zwei „Nitro Cold Brews“. Diese neue Zubereitungsart sorgt mit Stickstoff für einen kühl gezapften Kaffee, der in der Optik an Stout-Biere erinnert. Auf den stabilen Schaum dieser beiden Kostproben, des „Kirinyaga Kamwangi“ (Kenia) und des „Mandheling“ (Indonesien), werden wir noch zu sprechen kommen. Die restlichen Kaffees waren am Vortag mit kaltem Wasser zubereitet worden; analog zum Tee spricht man hier von der „Mizudashi“-Methode.

KEINESWEGS BITTERE ERGEBNISSE 
Auf der Seite der Zigarren waren wie üblich drei Formate im Einsatz, die repräsentativ für unterschiedliche Stile stehen. Die Jubiläumszigarre „1888“ aus dem Schweizer Haus Villiger bot als leichteste den Einstieg. Ihr folgte eine relativ neue Lancero von LUJ Cigars und die kräftige „Oval“, eine Toro von A.J. Fernandez’ Marke „San Lotano“. Alle drei Zigarren wurden mit allen sechs Kaffees verkostet und die so entstandenen 18 Paare individuell mit Punkten bewertet. Die Höchstnote neun ergab damit ein mögliches Punktemaximum von 72 Punkten für die herausragendste Kombination. Und so viel kann man vorwegnehmen: Die acht Verkoster kamen dieser Wertung bei ihrem „Cold Brew & Cigar“-Traumpaar schon recht nahe. „Tabak und Kaffee sind eine Familie, da herrscht Harmonie. Aber manchmal streiten ja auch Geschwister“, fasste Ercan Hazar die Eindrücke mit einer Analogie zusammen. In einem Punkt hatte der Zigarrenfachmann damit den Kern der Eignung des Cold Brews als Begleitgetränk getroffen: Denn es gab kaum Pairings, die als gänzlich unmöglich ausgeschlossen wurden – ein rarer Fall in der Geschichte der Cigar Journal-Verkostungen. Dass die Meinungen im Einzelfall auch auseinandergehen, zeigte etwa die kräftige „San Lotano“. Während sie einige Höchstnoten für das Zusammenspiel mit dem Wiener „Kaffeetschi“ erntete, der auf einem indischen Kaffee basiert, waren anderen die Bitterschoko-Noten am Ende zu viel des Guten. Dennoch sei festgehalten, dass kaum ein Paar aus „kaltem Kaffee“ und Rauchware unter fünf (von neun Punkten) bewertet wurde.

BEEREN-TRAUM STATT RÖSTNOTEN
Denn der anfänglichen Skepsis, ob der mitunter auch als „Hipster-Kaffee“ bezeichnete urbane Trend auch aromatisch mit intensiven Zigarren mithalten könne, folgte eine erste Überraschung beim „Alma Negra“. Der aus der Rösterei „Alt Wien“ stammende Costa-Rica-Kaffee trocknet im Fruchtfleisch, ein als „Black Honey“ bezeichneter Prozess, der den Zuckergehalt erhöht, aber besonders die Fruchtnoten akzentuiert. Schwarze Johannisbeere, Marzipan, Cranberry und eine unterschwellige Süße zeichneten diesen raren Kaffee aus, der so gar nichts mit dem bitterröstigen Getränk in der Espressotasse gemeinsam hatte. Zur „Villiger 1888“ mit ihrer dezenten Kräuternote war derlei Beeren-Gewalt fast schon zu viel des Guten. Die generelle Eignung des „Cold Brew“ als Zigarrenbegleiter zeigte sich im Vergleich mit der herkömmlichen Konsumation eines Espressos deutlich. Den Unterschied zwischen den Zubereitungen erklärte Oliver Goetz als Röst-Experte der Verkosterrunde technisch anschaulich: „Die Extraktion mit heißem Wasser löst mehr Koffein, Säure und Bitterstoffe aus den Kaffees“. Der langsam extrahierte Geschmack – bei Goetz‘ Rösterei „Alt Wien“ erfolgte das Ziehen über 20 Stunden – hingegen „ist runder, man kann auch sagen: Teeartiger“. Zudem waren drei der Kaffees nur äußerst kurz geröstet worden (für Fachleute: Omniroast). Der aus Costa Rica stammende „Alma Negra“ kam etwa nur für knapp acht Minuten in die Rösttrommel, während 20 Minuten durchaus üblich für einen „Espresso Roast“ sind.

EINER FÜR ALLE ZIGARREN
Diese Röstdauer wies etwa der „Mandheling“ aus Sumatra auf; seine Schoko-Nuss-Note zeigte sich als praktisch universell einsetzbar, wenn man aus Sicht der Zigarrengenießer denkt. Denn nicht nur, dass der reinsortige Arabica (mit Bio- und Fairtrade-Zertifizierung) der Kooperative „Kokowagayo“ mit einem Punkteschnitt von nahezu 8,0 pro Verkoster die Wertung anführt. Er konnte mit allen drei Zigarren in der „Top ten“ der besten Paarungen punkten. Herausragend zur „Morpheus Maduro Lancero“, erhielt er auch zu Villigers „1888 Corona“ Top-Noten. Lediglich die intensivste Zigarre der Verkostung, die San Lotano, zeigte die aromatischen Grenzen auf. „Beide Produkte gut, aber nicht ganz in Harmonie“, meinte etwa Philipp Ernst dazu. Vor allem die ausschließlich in der Kombination beider Produkte auftretende Salznote polarisierte. Vergleiche mit Erdnüssen wurden zu Papier gebracht, allerdings schätzte nicht jeder Verkoster diesen Ton. Als Allrounder zu unterschiedlichen Rauchstärken konnte sich aber kein Kaffee besser positionieren. Fast umgekehrt erging es den beiden pasteurisierten Cold Brews, nämlich dem brasilianischen Kaffee von „J. Hornig“ und dem „Kaffeetschi“, einem aus Indien stammenden Typica-Kaffee. Sie erhielten ihre höchsten Bewertungen beide zur „Oval Toro“. David Penker als Gastgeber im Hotel Kempinski fand die letztere Kombination „für mich perfekt ausgeglichen, mit einer schönen Bitterschoko-Note“. Sein Kollege Philipp M. Ernst wiederum bezeichnete den Cold Brew generell „als Feelgood-Getränk, das wir in meiner Bar ,Josef‘ im Tumbler servieren“. Tatsächlich diskutierten die Verkoster vor allem die Frage, zu welcher Gelegenheit man den neuen kalten Kaffee eigentlich trinkt. „Ist das eine schnelle Erfrischung oder setze ich mich damit in den Garten“, brachte Johann Gallée von „Dios Cigars“ diese Frage auf den Punkt.

DER REIZ DES STICKSTOFFS
Denn vor allem die beiden Nitro-Kaffees lebten auch in der Bewertung stark von der Schaumkrone. Das „tolle Mundgefühl“, das etwa Cigar Journal-Chefredakteurin Katja Gnann dem kenianischen Kaffee attestierte, hob die mit Stickstoff zubereiteten Kaffees von den anderen ab. Allerdings hat auch die Temperatur einen großen Einfluss auf die Eignung als Zigarrenbegleiter: zu kalt sollte der Kaffee dann auch nicht sein, zeigte sich angesichts des kolumbianischen „Cauca La Laja“. Er kam in allen drei Durchgängen am kältesten in die Tassen. Die Bitterschoko-Note wurde dadurch akzentuiert, allerdings zeigten sich erst im wärmeren Zustand die Frucht-Akzente. Dass der Cold Brew auch in größeren Mengen gereicht werden sollte, darüber herrschte zwischen den Bartendern Philipp M. Ernst und David Penker ebenso Einigkeit wie mit Röster Oliver Goetz. Auf Eiswürfel kann man aber verzichten, ergab die Verkostung, gerade die subtilen Geschmacksnoten der Kaffees reagierten nämlich teilweise deutlich mit den Zigarren und hoben das Gesamtergebnis auf eine höhere Genuss-Ebene. Mit einer Flasche oder Kanne des kühlen Getränks zur Seite lässt sich jedenfalls auch ein großes Format gut begleiten. Denn im Gegensatz zu anderen Getränken wirkt hier auf Dauer weder der Alkohol, noch die Süße oder Säure störend. Im Gegenteil: In jedem der drei Pairings zeigten sich neue Aspekte während des langsamen Trinkens. Bei der Lancero „Morpheus“ von LUJ Cigars etwa brachte der kolumbianische Kaffee rote Trauben und Muskatnuss hervor, zur Toro von „San Lontano“ blieb hingegen ein Nachhall von Chili. Der brasilianische „Yellow Icatu“ von Qualitätsfanatiker Ismael Andrade glänzte dafür zu dieser kräftigen Zigarre, verlieh wiederum aber der „Morpheus“ eine „gewisse Schärfe“, wie Johann Gallée anmerkte. Und was gibt es Schöneres, als aus einer vermeintlich bekannten Lieblingszigarre plötzlich neue Aromen hervor zu kitzeln? Offenbar macht „kalter Kaffee“ nicht nur die Menschen schön …

 

Fotos: Isabella Petricek

Roland Graf schreibt als Getränke-Journalist für Magazine und Online-Medien des deutschen Sprachraums. Seine Beiträge zur Sensorik und Geschichte von Alkoholika erscheinen in Magazinen wie „A la Carte“, „BEEF!“ oder „Mixology“. Für das Cigar Journal organisiert er Verkostungen und dokumentiert die genussreichsten Pairings von Zigarren und Getränken.


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