dunhill romeo julieta seleccion no 779 world record public auction november 2010

1500 Euro für eine Zigarre ausgeben?

Der Veranstaltungsort: die Zigarren-Terrasse des Boisdale-Restaurants im Londoner Stadtviertel Belgravia. Das Ereignis: die dritte Auktion von Vintage-Zigarren, organisiert von C. Gars Ltd. Das Datum: November 2010.

Für das Privileg, während des Bietens eine Zigarre genießen zu können, hatte die versammelte Schar weltweiter Zigarrenhändler und Zigarrensammler Temperaturen zu ertragen, die nie mehr als 2° Celsius erreichten. Mäntel, Schals und Hüte waren die angemessene Bekleidung der gut vorbereiteten Gäste, während sich jene mit weniger Weitblick auf die wärmenden Eigenschaften eines von über hundert Blended und Single Malt Whiskys verlassen mussten, für die das Boisdale berühmt ist.

Es wurde rege geboten, wenn auch nur, um das Ende des Prozesses und die Rückkehr in die warmen Innenräumlichkeiten zu beschleunigen. Dann wurde Los Nr. 110 aufgerufen. Eine Kiste seltener, Prä-Embargo Romeo y Julieta Dunhill Seleccion 779 – eine große Zigarre mit einer Länge von 192 mm und einem Ringmaß von 48 – die allerdings nur zehn Stück beinhaltete. Der Schätzpreis lag bei 2000 bis 2500 Pfund (zirka 2400 bis 3000 Euro), ein akzeptabler Betrag, selbst wenn dies ein paar hundert Pfund pro Zigarre bedeutete, und niemand zweifelte daran, dass die Kiste schnell verkauft werden würde. Sie tat es nicht.

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Photo: Habanos S.A.

Mehrere Bieter zeigten gleich zu Beginn Interesse und der Ausrufpreis war bald übertroffen. Doch die Gebote stiegen weiter an. Zu dem Zeitpunkt, als die Kiste das Doppelte des Schätzpreises (GPB 5000 bzw. EUR 6000) erzielt hatte, waren nur noch zwei Bieter mit im Spiel.

Beide waren Sammler, der eine aus Hongkong, der andere aus Japan. Zufällig befanden sie sich auf den gegenüberliegenden Enden der Terrasse und so drehten sich die Köpfe des Publikums während der Versteigerung einmal auf die eine, einmal auf die andere Seite, als würden sie ein Tennisturnier auf dem Centre Court in Wimbledon verfolgen.

Als 10000 Pfund erreicht wurden (GBP 1000 pro Zigarre), brach ein Jubel aus, als hätte einer der Spieler ein Ass serviert, um das Match nicht zu verlieren. Die letzten Gebote wurden langsam abgegeben, da jeder der beiden Männer versuchte, den anderen einzuschätzen, um herauszufinden, wie weit er gehen würde. Der Hammerschlag erfolgte bei 11500 Pfund, was nach Kommission und Steuer bedeutet, dass der Herr aus Japan, der das Los gewann, knapp über 13000 Pfund bzw. 15500 Euro für seine zehn Zigarren zahlte.

Meines Wissens stellte dieser Wettkampf einen neuen Weltrekord für den höchsten für eine Zigarre bezahlten Preis – 1300 Pfund bzw. 1500 Euro – bei einer öffentlichen Auktion dar, ein Rekord, der bis heute steht. Was Preise wie diesen so in die Höhe treibt, ist teils der Nervenkitzel bei der Auktion.

Wenn zwei oder mehr Sammler um dasselbe Los kämpfen, wird es immer spannend. Aber wieso ist jemand bereit, so viel Geld für eine Zigarre auszugeben, besonders wenn sie über fünfzig Jahre alt ist? Kann man solch eine Extravaganz in irgendeiner Weise rechtfertigen? Die einfachste Begründung wäre, zu sagen, dass es sich bei Havanna-Zigarren um eine sichere Investition handelt. Doch das stimmt nicht.

Gigantische Kämpfe wie der oben beschriebene sind selten und würden für dieselbe Kiste ebenso wenig erneut eintreten wie ein Blitz zwei Mal an derselben Stelle einschlägt. Doch kubanischer Tabak und die Art und Weise, wie er fermentiert wird, hat etwas Besonderes an sich, was ihn hinsichtlich der Wirkung, die Reifung auf die Verbesserung des Geschmacks haben kann, auf die gleiche Ebene mit Produkten aus den besten Weingütern in Burgund oder Bordeaux stellt. Fermentation steht im Mittelpunkt des Prozesses zur Optimierung des Geschmacks von Havanna-Zigarren.

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Photo: Habanos S.A.

Obwohl die Rolle der Fermentation bei der Verarbeitung von Trauben zu Weinen oder Spirituosen hinreichend bekannt ist, wird der Begriff selten mit Tabak assoziiert. Das liegt daran, dass die meisten Tabake, wie etwa jene, die für Zigaretten verwendet werden, überhaupt nicht fermentiert sind. Nach einem beschleunigten Verfahren bei hohen Temperaturen – der sogenannten Heißlufttrocknung – werden diese Tabaksorten zu stabilen, für die Herstellung von Zigaretten einsatzbereiten Produkten.

Im Gegensatz dazu wird Tabaco Negro Cubano dem viel längeren, sanfteren Lufttrocknungsprozess unterzogen. Daraufhin folgt eine Reihe ziemlich radikaler Fermentationen, bei denen Wasser als Katalysator agiert, was zu einer Oxidation führt, die den Nikotingehalt in den Blättern reduziert, lösliche Kohlenhydrate eliminiert und durch die Desaminierung von Stickstoffverbindungen große Mengen von Ammoniak freisetzt. Gleichzeitig wird der pH-Wert der Blätter alkalischer. Nicht-Wissenschaftler wie ich werden erleichtert sein, zu hören, dass es selbst im Standardnachschlagewerk der Tabakindustrie – Ernst Voges Tabaklexikon –, auf das ich mich im vorherigen Absatz berufen habe, heißt: „Der Prozess ist sehr komplex und immer noch nicht gänzlich verstanden.“

Die Tabakverarbeitung in Kuba vom Zeitpunkt, wenn die Blätter gepflückt werden, bis zu dem Moment, wenn der Ring angebracht und die fertige Zigarre in die Kiste gelegt wird, dient dazu, alle Unreinheiten auszufermentieren. Dies geschieht auch in sehr hohem Maße, doch Spuren von fermentierbaren Komponenten bleiben zurück, die eine allmähliche Reifung ermöglichen, um den Geschmack zu beeinflussen.

Min Ron Nees unschätzbares Werk hat vor einem Jahrzehnt unser Wissen über die Reifung von Zigarren enorm bereichert.

Unser Wissen darüber, wie Havanna-Zigarren von der Reifung profitieren können, wurde im letzten Jahrzehnt dank eines Herrn aus Hongkong namens Min Ron Nee, dessen unschätzbares Werk „Eine Illustrierte Enzyklopädie der postrevolutionären Havanna-Cigarren“ im Jahr 2003 erschien, enorm bereichert. Nee geht davon aus, dass die Existenz einer Zigarre von vier Phasen abhängig ist: der sogenannten „Sick Period“ (kranke Phase), gefolgt von der ersten, zweiten und dritten Reifung. Wer sich Nees Weisheit in vollem Umfang aneignen möchte, sollte sich ein Exemplar seines Werks kaufen, denn es gibt einfach keinen Ersatz dafür.

Aber lassen Sie mich versuchen, hier einige der Stichpunkte, die er mit jeder Phase assoziiert, zu extrahieren. Die „Sick Period“, die ein bis zwei Jahre nach Herstellung dauern kann, zeichnet sich durch Emissionen von Ammoniak aus, das nach der letzten Fermentation noch vorhanden ist. Es besteht zunehmend allgemein Einigkeit darüber, dass die „Sick Period“ heutzutage seltener identifiziert wird, aber wenn sie auftaucht, dann sollte man die Zigarren nicht rauchen, sondern ruhig liegen lassen, damit sie sich erholen können.

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Photo: Hunters & Frankau Limited

Die erste Reifung, das heißt, wenn der Geschmack der Zigarre am „vollsten“ ist, tritt laut Nee zu verschiedenen Zeiten ein, differiert je nach Stärke der jeweiligen Marke. Bei leichten Zigarren wie El Rey del Mundo oder Rafæl Gonzalez kann sie nach zwei oder drei Jahren einsetzen, bei mittelkräftigen Marken wie Romeo y Julieta nach fünf bis sechs Jahren und bei starken Zigarren wie Partagás oder Bolívar sogar erst nach zehn bis fünfzehn Jahren.

Jede Menge Geduld ist angesagt, wenn man möchte, dass die Zigarre die zweite Reifung erreicht, denn Nee meint, dass diese bei den meisten Zigarren fünfzehn bis zwanzig Jahre dauert und es manche nie bis dahin schaffen werden. Die Belohnung ist eine Reduktion der Tannine, was in einem sehr weichen, milden, komplexen und exklusiven Geschmack resultiert. Bei der ultimativen dritten Reifung dreht sich alles, so Nee, um das Bukett, ähnlich wie bei den erlesensten Weinen, die zur Reifung zwanzig oder mehr Jahre gelagert werden. Es geschieht selten bei Zigarren, aber wenn es passiert, gibt es laut Nee kein besseres Wort, um diese Erfahrung zu beschreiben, als „himmlisch“.

Unter Sammlern von Havanna-Zigarren herrscht derzeit große Spannung, denn Gerüchten zufolge soll Nee bald eine zweite Auflage seines mächtigen Werks herausbringen. Viel reicher illustriert als das ursprüngliche Buch und viel dicker (die erste Auflage hatte knapp 520 Seiten), weil es nicht nur mehr Zigarrenexemplare aus den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren beinhaltet, sondern auch alle neuen Standard und Limited Edition Havanna-Zigarren der letzten zehn Jahre.

Es wird ein Handbuch für Sammler sein und Anfängern ebenso als Leitfaden dienen wie Experten. Ein Stück Information jedoch wird bei den Zigarren, die in dem Werk gelistet sind, fehlen und zwar die Antwort auf die Frage: „Wie viel ist sie wert?“ Den Rat, den ich jedem, der vorhat, Sammler zu werden, geben kann, ist das zu wiederholen, was mir der freudestrahlende Verkäufer der Kiste von Prä-Embargo Romeo y Julieta Dunhill Seleccion 779, der zufällig ein Freund von mir ist, in der Nacht, als sie unter den Hammer kamen, sagte.

Auf meine Frage, wieso er diese Zigarren denn eigentlich gekauft hatte, meinte er: „Simon, sie haben mir einfach gefallen.“

 

Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Winter-Ausgabe 2013 veröffentlicht. Mehr

Simon Chase, der von der New York Times als „britischer Zigarren-Weiser“ bezeichnet wurde, arbeitete von 1977 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2009 für das in London ansässige Unternehmen Hunters & Frankau – Habanos-Vertriebshändler für das Vereinigte Königreich. In dieser Zeit erwarb er umfassende Kenntnisse über die Zigarrenindustrie der Vergangenheit und Gegenwart, besonders jene in Kuba. Heute leitet er seine eigene Beratungsfirma Simon Chase Limited, die sich auf Zigarren-Marketing und Tabakgesetzgebung spezialisiert. Zudem ist er nach wie vor nicht-exekutives Mitglied im Vorstand von Hunters & Frankau. Im Jahr 1998 erhielt er von Habanos S.A. die Auszeichnung Hombre Habano del Año (Habanos-Mann des Jahres) in der Kategorie Kommunikation. Seither ist er bestens als Auktionator beim Gala-Dinner zum Abschluss des jährlichen Habano-Festivals bekannt.


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