Wir haben nicht viel Sonne, und das ist der Hauptgrund für die Elastizität und den Glanz unserer Wrapper. – ENRIQUE LOPEZ
Unser erstes Ziel ist La Paulita, eine der Plantagen der Oliva Tobacco Company, die sich außerhalb der ecuadorianischen Stadt Quevedo befindet. Hier demonstriert der stellvertretende Betriebsleiter Henry Lopez an diesem Nachmittag, wie die Qualität der in der Scheune zum Trocknen aufgehängten Tabakblätter geprüft wird. „Wir betreten den Schuppen zuerst im Dunkeln, damit wir die Farbe des Tabaks nicht sehen, sondern ihn nur riechen können“, erklärt er mir. „Wenn wir einen süßen Geruch wahrnehmen, dann passt alles. Wenn es nach einem verschwitzten T-Shirt riecht, dann ist der Tabak zu feucht. Diese Feuchtigkeit spürt man auch am eigenen Körper, ein wenig so wie wenn man in eine Sauna geht. Danach drehen wir das Licht auf und schauen uns die Farbe an. Haben die Blätter einen schönen Gelbton? Nimmt er die Farbe von Kaffee an, wie er sollte? Daraufhin berühren wir nochmals die Blätter, um sicherzugehen, dass sie nicht zu trocken oder zu feucht sind. Basierend auf all dem entscheiden wir, ob wir die Fenster öffnen und Wärme zuführen, um die Feuchtigkeit zu reduzieren, oder sie schließen, damit die Feuchtigkeit erhalten bleibt.“ Es ist eine Herausforderung, mit Lopez mitzuhalten, während er mir sein enormes Wissen mitteilt und alle möglichen Fakten und Theorien über das perfekte Blatt liefert. Doch genau aus dem Grund bin ich hier: um herauszufinden, weshalb Deckblätter aus Ecuador bei Zigarrenherstellern in aller Welt so beliebt sind. Nachts werde keine Hitze zugeführt, aber manche Blätter würden mehr Wärme brauchen, um zu trocknen, informiert Lopez und zeigt mir ein paar kaffeefarbene Blätter, bei denen der Bereich um die Adern noch gelb und teils sogar grünlich ist. „Sobald sie sich trocken anfühlen, lassen wir sie liegen und warten, dass sie wieder weich werden, bis die Adern getrocknet sind.“
Das Deckblatt, von dem die ganze Welt spricht, in seinem natürlichen Zustand vor der Trocknung und Fermentation
Neun der Zigarren, die von Lesern des Cigar Journal zu den „Top 25 Cigars of 2017“ ernannt wurden – darunter die drei Erstplatzierten – haben ein ecuadorianisches Deckblatt. Und wie mir David Pérez, CEO von A.S.P. Enterprises, der zweite große Tabakproduzent in Ecuador, später erzählt, verwenden acht von zehn Fabriken seine Blätter. Was macht sie so populär? „Ich mag die Elastizität, den Abbrand, die Farbe und den Geschmack von Habano“, sagt Oscar Valladares, während Carlo Corazza, Besitzer von Brun del Ré, meint, dass in Ecuador sehr professionell gearbeitet wird – von der Aufbewahrung bis zur Fermentation. Und das sei bei Deckblättern nicht einfach. „Außerdem hat Ecuador das richtige Klima, die richtige Höhenlage und den richtigen Boden für hochqualitative Wrapper. All das trägt natürlich zum unvergleichlichen Geschmack bei.“ Ernesto Perez-Carrillo von EPC Cigars stimmt ihm zu: „Wir verwenden ecuadorianischen Sumatra-Tabak wegen seines Geschmacks, seiner Farbe und seiner Konsistenz. Und Connecticut aus Ecuador ist leichter zu trocknen und zu reifen.“ Als Henry und ich die Scheune verlassen, treffen wir seinen Vater Enrique Lopez, Betriebsleiter bei Oliva. „Das Geheimnis ist das Klima“, verrät Enrique und zeigt in Richtung Himmel. „Wir haben nicht viel Sonne, und das ist der Hauptgrund für die Elastizität und den Glanz unserer Wrapper. Durch den Schatten bleiben die Blätter dünner, dehnbarer und elastischer.“ Somit wäre es also verraten, das allseits bekannte Geheimnis, von dem jeder spricht, wenn es um ecuadorianische Deckblätter geht: Schatten. Mit nur 500 Stunden Sonnenschein pro Jahr scheint das Klima perfekt für Wrapper zu sein. Aber natürlich spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle. Laut John Oliva Jr., Geschäftsführer bei der Oliva Tobacco Company, ginge es um die Feuchtigkeit, die durch die konstante Wolkendecke in Ecuador ausgeprägter sei, womit eine Art Mikroumgebung entstehe. Das trage zwar nicht zum Geschmack bei, ermögliche aber eine bessere Kontrolle beim Trocknungsprozess. „Tabak wird nicht so, wie man ihn gerne haben möchte, indem man einfach nur die Türen der Scheune öffnet und schließt. Er muss stets gepflegt, immer wieder befeuchtet und getrocknet werden.“ Ohne die Luftfeuchtigkeit müsste man, so John, die Böden mit einem Schlauch abspritzen und abschätzen, wie viel Feuchtigkeit die Scheune aufnimmt. „Wenn ich Wasser künstlich zuführe, muss ich raten, wie viel ich für den richtigen Feuchtigkeitsgrad brauche. Das kann einen manchmal in den Wahnsinn treiben. Denn wenn ich zu viel erwische, dann muss ich wieder ein Feuer machen und laufe Gefahr, dass der Tabak nicht ausreift.“
Die Blätter müssen so schnell wie möglich in die Scheune. – DAVID PÉREZ
Henry erzählt mir, dass die Blätter wegen der starken Sonneneinstrahlung ohne natürliche Feuchtigkeit zu schnell austrocknen würden. Durch letztere bekämen sie ihren Glanz und ihre Elastizität. „Das ist der Grund, weshalb in Zentralamerika nicht so viele Deckblätter angebaut werden. Dort gibt es viel mehr Sonne und weniger Feuchtigkeit als hier. Es ist einfacher, Feuchtigkeit zu entziehen, als sie in der Scheune zuzuführen. Wir müssen auch unsere Felder nicht so oft bewässern.“ Er vergleicht das Ganze mit Fleischkochen: „Die Wolkendecke ist wie ein Topfdeckel und der Dunst fördert den Kochprozess. Sprich, wir bekommen gedünstetes Fleisch, die anderen gegrilltes.“ Henry nimmt ein Blatt und drückt von unten dagegen. Sein Finger ist unter der dünnen Textur des Tabaks sichtbar und es wirkt, als würde er ein Stück Gummi dehnen. Oder um einen etwas verrückteren Vergleich anzustellen: wie wenn Jabba the Hutt in „Star Wars – Das Imperium schlägt zurück“ Han Solo in Karbonit einfrieren lässt. „Schauen Sie, es bricht nicht“, meint Henry und fügt hinzu: „Es geht nicht nur um die Nährstoffe und Wasserspeicherfähigkeit des Bodens. Ein Blatt, das zu schnell trocknet, verliert an Elastizität und Glanz. Wenn es also sehr sonnig ist, dann müssen die Felder bewässert werden.“ Ironischerweise ist es am nächsten Tag, als ich mit David Pérez die 2400 Hektar große San Juan-Plantage von A.S.P. besuche, wirklich heiß und sonnig. Auf unserem Weg zu einem Feld, wo gerade geerntet wird, sind rund um uns Frauen damit beschäftigt, Blätter auf den Karren zu laden, während David mit einigen Kollegen über die „ominöse Sonne“ spricht. „Die Blätter müssen so schnell wie möglich in die Scheune, damit sie nicht von der Sonne beschädigt werden“, erklärt er. Auf meine Frage, ob sie denn wirklich so empfindlich sind, dass ein Nachmittag Sonnenschein viel Unterschied ausmacht, meint er, dass es jetzt schon einige Tage sonnig sei und die Blätter weder einen Sonnenbrand bekommen sollen, noch die Feuchtigkeit zu schnell entweichen darf. „Sonst würden sie zu schnell gelb werden, denn wegen der Hitze kann die Luft nicht zirkulieren. Natürlich geht es nicht um ein paar Minuten, aber die Blätter sollten bei solchen Verhältnissen innerhalb von zweieinhalb statt den üblichen vier Stunden in die Scheune gebracht werden. Unsere Plantage ist groß, das heißt, der Transport von manchen Feldern kann 15 bis 20 Minuten dauern und danach müssen die Blätter aufgefädelt und die Stangen aufgehängt werden.“ Was also tun, wenn es zu sonnig ist? „Beten!“ scherzt er und erklärt daraufhin: „Man muss beobachten, wie die Blätter reifen und eventuell drei statt zwei wählen. Wenn in der Trockenscheune nicht genug Platz ist, müssen wir sie allerdings wegwerfen.“ Bei Umlage- und Einlagetabak sehe die Sache anders aus und man könne vier bis fünf Tage warten. „Die Sorte Deckblätter, die wir anbauen, sind jedoch sehr dünn und empfindlich, das heißt, man muss aufpassen. Aber Tabak sagt dir, wenn er soweit ist, und das hörst du, wenn du ein Blatt pflückst und es Klick macht.“ Oliva kultiviert Habano und Sumatra, während sich A.S.P. auf Connecticut spezialisiert, und bei der von Pérez erwähnten Sorte handelt es sich um ihre eigene. „Die Idee für diesen Hybrid hatte mein Vater im Jahr 1992. Soviel ich weiß sind wir die einzigen, die diesen Tabak anbauen.“ Jedes Saatgut zeichnet sich durch seine eigenen Merkmale aus, die sich aber – je nachdem, wo es gepflanzt wird – ändern können. So sind die Blätter des nicaraguanischen Saatguts, das die Familie Pérez in Ecuador anbaut, dünner und haben einen neutraleren Geschmack. Nichtsdestotrotz handelt es sich um reichhaltige Wrapper. Laut John Oliva Jr. machen die jeweiligen Bodenverhältnisse einen gewaltigen Unterschied aus. „Wenn ich diesen Tabak hier in Kuba, der Dominikanischen Republik oder Nicaragua anbaue, dann wird er ganz anders schmecken. Der Vulkanboden in Ecuador verleiht ihm eine würzigere Note. Selbst der Tabak von unseren Farmen im Süden des Landes hat einen anderen Geschmack als der von Quevedo, wo es viel trockener ist.“
David Pérez und Angel Elizalde testen die Elastizität der Deckblätter in der Fermentationshalle
Geschmackliche Unterschiede gibt es auch innerhalb der Region. Ernesto Perez-Carrillo bevorzugt Tabak von La Francey, Carlos Fuente jenen von Don Angel. Beide Plantagen befinden sich in Quevedo, aber eine davon liegt näher bei einem Fluss und durch die jährlichen Überschwemmungen schmeckt der Tabak von dort anders als jener von höheren Lagen. „Ich kann mir das nur so erklären, dass durch den Fluss zusätzliche Nährstoffe in den Boden gelangen“, sagt John. Ein weiterer Vorteil sei, laut Pérez, dass das Wasser gut abfließt. „Da sich bei zu viel Regen kein Wasser ansammelt, können sich auch keine Pilze oder Insekten darin fortpflanzen.“ Es scheint also, dass es bei ecuadorianischen Deckblättern ebenso viele Gemeinsamkeiten wie Unterschiede gibt, aber auch zwei wiederkehrende Eigenschaften: Glanz und Elastizität. „Das Blatt legt sich um die Zigarre und bleibt elastisch wie unsere Haut, was die Sache einfacher für die Roller macht“, meint Pérez. „Wir wollen ja nicht, dass es Falten gibt oder sich die Roller davor fürchten, es zu dehnen.“ Trotz aller Ähnlichkeiten unterscheiden sich die Wrapper von Oliva gewaltig von jenen von A.S.P. und spielen somit verschiedene Rollen im Gesamtblend. „Sumatra und Habano geben der Zigarre ein stärkeres Geschmacksprofil, während Connecticut sehr gut mit Filler-Tabaken harmoniert“, sagt Oliva Jr., und Pérez erklärt, dass der Geschmack von ecuadorianischen Connecticut-Deckblättern neutraler ist und dadurch die Stärke und Aromen von Filler und Binder besser zur Geltung kommen. „Hersteller, die Connecticut verwenden, produzieren mildere, mittelkräftiger Zigarren“, fährt Oliva Jr. fort. Sumatra und Habano seien würziger und kämen bei voluminöseren, stärkeren Zigarren im kubanischen Stil zum Einsatz. „Sie übertönen zwar nicht den Filler-Blend, aber man merkt es, gerade bei höheren Primings. Wenn Carlito Fuente unser kubanisches Saatgut verwendet, wird er also vermutlich die Menge an Ligero-Tabak reduzieren. Newman, hingegen wird Ligero hinzufügen, wenn er einen Connecticut-Wrapper für seine Cuesta-Rey-Zigarren verwendet.“ Wie bei jedem Tabak hängt der Geschmack auch davon ab, von welchem Teil der Pflanze die Blätter stammen. Oliva Jr. bevorzugt die mittleren Primings statt der heißbegehrten obersten. „Für mich sind sie am geschmackvollsten, gerade beim kubanischen Saatgut, denn es hat diese Würze und gleichzeitige Süße. Ich kann den Geschmack dieses Tabaks nicht so genau beschreiben, aber wenn er bei einer Zigarre verwendet wird, dann erkenne ich ihn schon wenn ich sie anzünde.“