Nick Hammond fragt sich, ob wir beim Rauchen und Bewerten unserer Zigarren die Dinge falsch angehen. Zigarren brauchen Zeit, um ihr Bestes zu geben. Sie zu früh zu rauchen – kann das unsere Wahrnehmungen verzerren?
Die Idee entstand während eines Gesprächs in Dortmund. Ich besuchte – wie viele andere des Cigar Journal-Teams – die InterTabac. Die Messe bot eine großartige Gelegenheit, um wichtige Leute der Branche zu treffen und über etwas zu reden, das wir alle teilen: die Leidenschaft für feine Zigarren.
Tausende Aussteller, Händler, Hersteller und Medienvertreter waren anwesend. Drei Tage lang lag eine euphorische Stimmung in der Luft. Ich hatte das Vergnügen, dutzende treue Anhänger der Zigarrenindustrie kennenzulernen, darunter Thomas Hammer, Verkaufsleiter bei 5th Avenue, dem offiziellen Habanos-Vertriebspartner für Deutschland und Österreich, mit dem ich im Vorfeld ein Treffen vereinbart hatte. Aber so sehr wir uns auch bemühten, konnten wir doch keinen gemeinsamen Termin finden. Stattdessen verbrachten wir also zwischen unseren Meetings ein paar wertvolle Augenblicke beim 5th Avenue-Stand.
Sind wir dem schnellen Konsum verfallen und stets auf der Jagd nach den neuesten Dingen? Und bilden wir uns zu rasch eine Meinung?
Hammer vertritt die interessante Meinung (und ich habe vor, ihn wieder zu treffen, um mir mehr Anregungen für zukünftige Kolumnen von ihm zu holen), dass es beim Rauchen und Bewerten von neuen Zigarren möglicherweise zu absoluten Fehlinterpretationen von Fakten kommt.
Weiters ist er der Ansicht, dass wir das schreckliche Verbrechen eines Kindermordes begehen, indem wir Zigarren „töten“, wenn sie noch viel zu jung sind, und nicht berücksichtigen, dass Tabak ein Produkt ist, das sich während des Lebenszyklus’ einer Zigarre ständig verändert. Im Grunde schneiden wir sie an, lang bevor sie ihre Blütezeit erreicht haben. „Sind wir dem schnellen Konsum verfallen und stets auf der Jagd nach den neuesten Dingen? Und bilden wir uns zu rasch eine Meinung?“ fragt er, während ich fieberhaft stichwortartige Notizen mache.
„Genau das interessiert mich. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt eine Bewertung gelesen habe, in der es hieß: ,Diese Zigarre ist jetzt ein wenig bitter und herb, hat einen unregelmäßigen Abbrand und festen Zug. Aber sie weist ein enormes Reifepotenzial in der Kategorie ab 3 Jahren auf, und diese gängigen Probleme werden im Alter weichen.‘“ Er hat recht. Wir bewerten Zigarren einfach nicht auf diese Weise, sondern verkosten sie im Hier und Jetzt, liefern eine Echtzeit-Ansicht über den Geschmack einer Zigarre zum jeweiligen Zeitpunkt der Beurteilung.
Ich berichte zwar hin und wieder über Anzeichen von Reifepotenzial, aber ich muss zugeben, dass ich Zigarren keinen Spielraum hinsichtlich Schwierigkeiten bei Zug, Abbrand oder Geschmacksprofil gebe, die im Alter vielleicht wirklich ausgebügelt werden.
„Aufgrund der Herkunft einer Zigarre, unserer bisherigen Erfahrungen mit der Marke, Struktur und Blattqualität etc. sollten wir in der Lage sein, uns ein langfristiges Gesamtbild über ihr Zukunftspotenzial zu machen anstatt dies von vornherein zu verwerfen“, erklärt Hammer und verschwindet daraufhin, von einer Rauchwolke umgeben, in der Menschenmenge, die sich zwischen den fünf Messehallen hin und her bewegt.
Es ist ein interessantes Konzept, über das ich während der Bewertungen der blind verkosteten Zigarren, die ich jeden Monat schreibe, immer wieder nachdenken musste. Ich hoffe, dass es „meinen Stift schärfen“ wird.
Die Idee ist auch Mark George nicht ganz unbekannt, selbst wenn ihm das bisher vielleicht nicht so bewusst war. Vor kurzem verbrachten wir ein paar interessante Stunden im neuen Sampling Room von JJ Fox in der Londoner St James’s Street. Mark ist schon sein Leben lang ein Zigarren-Liebhaber (sein Vater nahm ihn das erste Mal mit zu Fox, als er 17 war und bestand darauf, dass er sechs Kisten dort lagert), selten ohne eine große Vitola anzutreffen und fällt auch wegen seines Zwirbelbarts und seines einzigartigen, persönlichen Stils auf. Während unseres Gesprächs über Vintage-Zigarren schenkte er mir freundlicherweise eine zehn Jahre alte Partagás Lusitanias.
Ich besitze seltene und Vintage-Stücke, aber ich rauche sie auch. Und darum geht’s.
Der Agent für Fotografen und Musikliebhaber besitzt eine große Sammlung von Habanos, die er seit Jahren in den Gewölben von JJ Fox sowie in verschiedenen Humidoren bei sich Hause bzw. in seinem Büro lagert.
(Einmal verlor er eine riesige Beute, als in seinem Büro eingebrochen wurde und sich die Versicherung weigerte, zu zahlen, aber das ist eine andere Geschichte.) „Ich hab eine Zigarre in der Hand wann immer ich kann“, sagt er achselzuckend und zündet sich seinen Smoke mit einem Vintage-Dunhill-Feuerzeug an, während die Silberarmreifen an seinem Handgelenk klirren. „Im Büro und zu Hause rauche ich mindestens ein paar große Zigarren pro Tag. Ich bevorzuge größere Formate – die Montecristo 520 ist herrlich, ebenso wie alte Romeo y Julieta Churchills, Partagás, Bolívar. Diese Zigarren genieße ich regelmäßig.
Über die Jahre hat George wirklich unglaublich seltene Sammlerstücke verkostet. Denn seiner Ansicht nach sind Zigarren dazu da, um sie mit Freunden zu genießen, statt sie ewig in einem muffigen Raum aufzubewahren. „Sie werden doch gerollt, um geraucht zu werden“, meint er. „Ja, ich besitze seltene und Vintage-Stücke, aber ich rauche sie auch und hab im Laufe der Zeit ein paar sensationelle Zigarren mit meinen Freunden genossen. Und darum geht’s.“ Das kann ich angesichts seines großzügigen Geschenks nur bestätigen: Die Partagás ist ein ausgewogener, sinnlicher Genuss, immer noch voller Kraft und Würze.
Ruinieren wir also unseren Geschmack, wenn wir Zigarren rauchen, die viel zu jung sind?
Was ich damit – zugegeben auf Umwegen – sagen will ist, dass George und Hammer ein gemeinsames Ethos haben, selbst wenn sie sich, meines Wissens, nicht kennen. Beide predigen und praktizieren das längere Lagern und Reifen von Zigarren. Ihrer Meinung nach sollten sie mindestens ein paar Jahre, manchmal sogar bis zu einer Dekade ruhen. Und beide rauchen ihre Zigarren mit anderen Wertvorstellungen: Sie geben ihnen die Chance, zu zeigen, was ihr Tabak in sich hat.
Ruinieren wir also unseren Geschmack, wenn wir Zigarren rauchen, die viel zu jung sind? Diese Zigarre, die man vor ein paar Jahren probiert hat und nicht mochte – wie würde die wohl heute schmecken? Ich denke, die Antwort wäre – wenn mir dieses Wortspiel gestattet ist – wohl „geschmacklos“. Wir könnten damit künftige Klassiker in Brand stecken und sie als mittelmäßig deklarieren. Das sollten Sie beim Kauf Ihrer nächsten Kiste vielleicht berücksichtigen.
Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Winter-Ausgabe 2015 veröffentlicht. Mehr