Nur eine Zigarre …

    Eine Zigarre ist niemals nur eine Zigarre. Sie ist viel mehr als das. Sie ist die Umgebung, in der wir sie genießen; das Getränk, das wir als Pairing reichen; die Musik, die wir hören; der perfekte Schnitt; die Farbgestaltung der Umgebung. Und nur wenn die Summe ihrer Teile perfekt dirigiert und orchestriert wird, ergibt sich aus den einzelnen Tönen eine Symphonie.

    Wem kommt das bekannt vor? Ja, es stimmt, der Genuss einer Zigarre ist oft mehr als einfach nur die Zigarre. Vielleicht erweist sich diese Herangehensweise allerdings als hinderlich dabei, ein Produkt als das anzuerkennen, was es ist. Herzlich willkommen in unserem literarischen Rauchsalon.

    Ja, wir werden auch dieses Mal wieder gemeinsam eine Zigarre genießen. Aber es soll auch noch um etwas anderes gehen. Das Zelebrieren des Moments hat seine Berechtigung und ist wunderschön, kann jedoch zu etwas ausarten, das dem Genuss im Wege steht.

    Wir wollen uns heute einer Zigarre widmen: der Arturo Fuente Rosado Sungrown Magnum R V52. Kein magisch-mystisches Meisterwerk, sondern einfach nur eine nahezu perfekte Zigarre.

    Machen Sie es sich gemütlich, greifen Sie zu Ihrem bevorzugtem Schneidewerkzeug und entflammen Sie Ihre Zigarre, während ich Ihnen eine Geschichte erzähle, die Ihnen verdeutlichen soll, worum es dieses Mal geht.

    Ich besuchte einen langjährigen Freund von mir, der nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt wieder zurück in die Heimat gekommen war. Es war ein langer feucht-fröhlicher Abend und ein unglaublich schönes Wiedersehen. Ein Wiedersehen mit einem Pferdefuß, denn es gab an diesem Abend keinen Balkon, keine Möglichkeit, eine Zigarre zu genießen. Irgendwann musste ich den Heimweg antreten, und als ich das Wohnhaus in einem Wiener Randbezirk verließ, regnete es. Doch es regnete nicht nur einfach, es flossen Gebirgsbäche aus rauschendem Wasser über die Dachkanten, und die Straßen wurden langsam, aber sicher zu anschwellenden Strömen des Niederschlags. Ich konnte mich mit ein paar schnellen Schritten unter das Dach einer kleinen Bushaltestelle retten und war zumindest für den Moment halbwegs im Trockenen. Es galt nun, auf den Bus zu warten. Die Anzeigetafel kündigte mir das rettende Transportmittel in 15 Minuten an.

    Jedoch wurde am Ende aus diesen 15 Minuten über eine Stunde. Warum erzähle ich Ihnen das? Ganz einfach, es war eine Zigarre, die mir an diesem Abend das Leben rettete – im übertragenen Sinne. Denn als ich bemerkte, dass der Bus wohl nicht so schnell kommen würde, nahm ich meine Zigarre, die ich für die Feierlichkeiten bereitgestellt hatte, zur Hand und entflammte sie an der Bushaltestelle. Während die ganze Stadt langsam ertrank, saß ich einfach nur da und blickte in den Regen hinaus und rauchte, genoss die Wärme in meiner Hand und den süßlichen Duft, der durch meine Nase quoll. Es war diese Zigarre, die mir einen wirklich miesen Moment vergoldete. Ich hatte weder einen bequemen Ohrensessel unter mir noch einen wohltemperierten Scotch auf einem Mahagonitisch neben mir stehen. Es war nicht Ludwig van Beethoven, der mir das Klangbild der Perfektion zu Gehör brachte, sondern lediglich der stetige Wasserschlag des Himmels, der auf den Asphalt prasselte. Und die Zigarre war mein Rettungsring, während die Welt um mich langsam unterging. Es handelte sich um die gleiche Zigarre, die ich heute gerne mit Ihnen gemeinsam genießen möchte.

    Wenn Sie die ersten Züge der Arturo Fuente Rosado Sungrown Magnum R V52 genießen, werden Sie bemerken, wie unglaublich weich und dicht der Rauch ist. Er transportiert bereits zu Beginn eine leichte Süße und eine ordentliche Portion Würze. Das Aromenspiel ist von Anfang an sehr ausgewogen und komplex. Natürlich könnten wir jetzt wieder in die Tiefe gehen und den Anklängen von Leder und Zeder nachspüren. Stattdessen möchte ich Sie einladen, die Zigarre nur zu genießen, sich keine Gedanken zu machen. Lassen Sie Ihren Geist einfach nur dahinfliegen und die Eindrücke, die der Geschmack bei Ihnen auslöst, vorüberziehen. Lassen Sie sich auf die Zigarre ein. Es geht nicht darum, den Moment zu kontrollieren oder zu planen, sondern darum, ihn als das anzuerkennen, was er ist.

    Es ist oft die Zigarre, die einen beinahe banalen Moment zu einem unvergesslichen Augenblick werden lässt, und nicht der unvergessliche Augenblick, der eine Zigarre zur höchsten Kunstform erhebt.

    Es braucht eine Vielzahl an Händen, damit eine Zigarre entsteht, aber mehr noch benötigt es Zeit und Geduld. Jede Zigarre, die wir genießen dürfen, ist hoch potenzierte Zeit. Zeit, die wir zurückbekommen in den Momenten, in denen wir sie genießen dürfen, und das macht einen großen Teil der Freude und der Entspannung aus, die wir so gerne empfinden, während wir den Nebelschwaden nachhängen, die zum Himmel emporsteigen. Nicht umsonst verwendet Carlito Fuente gerne den Ausdruck „Hands of time“.

    Die Zigarre, die wir im Moment genießen, ist ein Musterbeispiel an Verarbeitung und Blending. Sie ist ausgewogen und dabei gleichzeitig geradlinig und komplex. Sie hat den Hauch von kubanischem Geschmack in sich, der bei so vielen Passionados beliebt ist; sie hat die Würze, die typisch für das Hause Fuente ist – und doch eigentlich untypisch für die Dominikanische Republik. Sie überfordert niemals, belohnt einen mit Süße und einer Buttrigkeit, die ihresgleichen sucht. Es gibt wohl keinen Moment, den diese herrliche Schöpfung nicht veredeln würde. Und dabei ist sie jederzeit auch einfach nur eine Zigarre.

    Um auf meine Geschichte von vorhin zurückzukommen: Als nach weit über einer Stunde der Bus endlich kam, waren meine Füße nass und mir war fürchterlich kalt. Jedoch konnte ich nicht aufhören zu grinsen, denn der Genuss war so herrlich, dass ich beinahe zu einer weiteren Zigarre gegriffen hätte, um noch eine Stunde auszuharren. Es war eine der köstlichsten Zigarren, die ich jemals rauchen durfte. Genau dort, im verregneten Wien, an einem nasskalten Abend, während ich in der Kälte auf einen Bus wartete, der womöglich niemals kommen würde.

    Heute halte ich meine Augen stets für solche Momente offen. Ich habe schon an den ungewöhnlichsten Orten Zigarren genossen und dabei in manch unangenehmen Erlebnissen Schönheit und einen Augenblick des Friedens gefunden. Das alles dank einer Zigarre, die ich bei mir hatte. Wer weiß, vielleicht erzähle ich Ihnen einmal die Geschichte, als ich am Flughafen Düsseldorf vor dem Taxistand, auf einer vier Zentimeter breiten Leiste kauernd, fast zwei Stunden gewartet habe. Dieser Moment war legendär, und auch dort hatte ich das einer Zigarre zu verdanken.

    Doch zurück zu unserer Zigarre. Diese Fuente, die wir derzeit genießen, wartet im letzten Drittel mit einer gewaltigen Geschmacksexplosion auf. Leder, Erde, Kaffee, Schokolade und Kandiszucker sind die Hauptakteure eines unglaublichen Finales.

    Mir ist bewusst, dass es diesmal nicht die übliche geführte Verkostung war, jedoch freut es mich, dass ich ein wenig abschweifen durfte und Ihnen aus meinem Leben als Passionado erzählen konnte. Jede Zigarre hat ihre eigene Geschichte, berichtet von ihrer eigenen Zeit und ihrer Entstehung. Nehmen Sie sich also hin und wieder Zeit und „hören Sie der Zigarre zu“, ohne ihr einen Moment der Perfektion aufzuzwingen. Ich versichere Ihnen, das lohnt sich immer. Zigarren sind meistens einfach nur Zigarren – und das ist auch gut so!

    Klaus Hruby learned his trade as a journalist at a young age and published articles in various media such as Die Zeit, Der Falter, as well as in renowned literature competitions in German-speaking countries. His love for cigars was ignited during his apprenticeship; his great-grandfather still owned a tobacco field. Klaus Hruby has been writing Austria’s biggest cigar blog, www.derblauedunst.com, since 2014.


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