Flieh Aroma, Flieh!

Davidoff Château Haut-Brion von 1982

So mancher unter uns kennt das Problem: Man lagert Zigarren im Humidor und nach einiger Zeit scheinen die Aromen verflogen zu sein. Zunächst betrifft dies nur das Bouquet (nasale Wahrnehmung), bei länger gelagerten Zigarren kann sich die Aromenflucht auch durch einen flachen Rauchverlauf bemerkbar machen. Wer Rat im Internet sucht, findet dort etwa die glorreiche Empfehlung aus Großvaters Zeiten, man solle doch einen halben Apfel, ein Glas Rum, ein Stück Seife oder etwas Pfeifentabak in den Humidor legen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Gerüche sicherlich auch. Allerdings sind solche Empfehlungen keinesfalls Handlungsanweisungen, die man ungeprüft übernehmen sollte. Nehmen wir also von Empfehlungen Abstand, die das Problem durch Überlagerung mit Fremdaromen zu kompensieren versuchen. Werfen wir einen Blick darauf, welche Einflussfaktoren für den Erhalt des Bouquets und des Aromas wirklich von Bedeutung sind. Vor längerer Zeit verkostete ich in einer lustigen Runde alte Zigarren, darunter auch kubanische Davidoffs und Dunhills … Da hörte man schon kurz nach dem Anzünden Kommentare wie: „Schmeckt wie heiße Luft“, oder „Ich schmecke ja gar nichts“. Diesem ersten Frust folgte bald ein zweites Glas Rum … und das war es dann mit dem Tasting. Mein Gedanke dazu: Beim Verkosten reifegelagerter Exemplare ist hohe Aufmerksamkeit geboten. Mit einer Aromenexplosion ist bei Zigarren, die Jahrzehnte alt sind, nicht zu rechnen. Ich behaupte ja, dass wir Zigarrengenießer zunehmend die Fähigkeit verlieren, die Finesse feiner Aromen wahrzunehmen und zu schätzen. Einfach deshalb, weil wir immer kräftigere Zigarren konsumieren. Nicht jede Zigarre wird durch Reifelagerung besser. Es gibt Zigarren, die irgendwann ihre Aromen nahezu völlig einbüßen, wie ich dies jüngst bei einer kubanischen Davidoff Nr. 1 feststellen musste. Nun, diese Zigarre war schon vor Jahrzehnten kein Aromenfeuerwerk. Wenn sie nun mehr als 40 Jahre auf dem Buckel hat, dann ist das Raucherlebnis doch eher entzaubernd. Ganz im Gegenteil zur Château-Serie von Davidoff. Als ich Ende 2017 auf einem Museumsschiff im Hamburger Hafen einen Humidor einbaute, wurde zur Einweihungsfeier eine Kiste Davidoff Château Haut-Brion 1982 kredenzt. Meine Güte. Wir haben die Zigarre geraucht, bis die Fingernägel glühten. Sie war bis zum Schluss ein absolut perfekter Genuss. Es ist einleuchtend, dass kräftige Zigarren prinzipiell besser zur Reifung geeignet sind als milde. Eine Fonseca Nr. 1 verfügt in den ersten Jahren nach ihrer Produktion trotz ihrer Milde über erstaunlich komplexe Aromen. Ich persönlich beobachtete nun bei einer Kiste aus dem Jahr 2006, dass sich die Zigarre für mein Empfinden nicht positiv weiterentwickelt – ihr Aroma wird flacher. Dagegen hielt ich die Romeo y Julieta Robusto Edición Limitada 2001 anfangs für eine unrauchbare Zigarre. Erst nach mehreren Jahren begann die Zigarre eine unglaubliche Entwicklung und ist heute ein Hochgenuss. Es kommt meiner Meinung ganz erheblich auf die Zusammensetzung der Zigarre an, also das Verhältnis von Volado bzw. Viso, Seco und Ligero. Ich habe mir vor mehreren Jahren bei einem Roller- Event zwölf Zigarren rollen lassen. Drei Stück nach Originalrezept des Rollers, drei mit identischem Anteil Volado, allerdings weniger Seco und mehr Ligero, drei weitere Zigarren mit mehr Seco als Ligero und die drei letzten mit einem sehr hohen Seco- und mittleren Ligero-Anteil. Wenn man nun bedenkt, dass der Ligero primär für die Stärke der Zigarre verantwortlich ist und der Seco für den Würze- und Aromenanteil, ist das Ergebnis der Zigarrenentwicklung einleuchtend. Nach etwa fünf Jahren war die Zigarre mit hohem Seco- und geringem Ligerogehalt zwar nicht besonders kräftig, hatte aber ein sehr intensives Aroma im Rauchverlauf. Die Zigarre mit mehr Ligero und weniger Seco hatten zwar eine gewisse Durchschlagskraft, die Aromen waren aber nicht selektiv wahrnehmbar – entweder durch den Ligero überlagert oder aber durch den geringen Seco-Gehalt nicht mehr vorhanden.

Die unterschiedlichen Tabakarten in der Zigarre sind entscheidend

EINZELLAGERUNG ODER KISTENLAGERUNG
Während der Konsument auf die Zusammensetzung und den Aufbau einer Zigarre keinen Einfluss hat, kann er bei der Lagerung alle Register ziehen. Den meiner Ansichtnach größten Einfluss auf Erhalt oder Verlust des Bouquets einer Zigarre hat die Einzel- oder Kistenlagerung. Werden Zigarren über längere Zeit einzeln im Humidor gelagert, so wird man eine weit stärkere Aromenflucht wahrnehmen, als wenn die Zigarren in ihrer Kiste im Humidor gelagert werden. Der Grund liegt auf der Hand: Jedes Mal, wenn der Humidor geöffnet wird, werden die Zigarren frischer Luft ausgesetzt und das im Humidor angesammelte Tabakaroma entweicht. Werden die Zigarren dagegen in der Kiste gelagert, kann die einströmende Frischluft die Zigarren nicht direkt erreichen. Unternehmen Sie folgenden Test: Nehmen Sie einige Zigarren aus der Kiste und lagern sie diese einzeln im Humidor. Der Rest bleibt in der Kiste und reift unter seinesgleichen mit möglichst wenig Frischluftzufuhr. Und dann rauchen Sie nach einigen Jahren beide Zigarren parallel. Sie werden erstaunt sein. „Aber man soll den Humidor doch regelmäßig lüften“, ist in den Köpfen vieler verankert. Diese Empfehlung ist, ich kann es nur wiederholen, dem Umstand geschuldet, dass passive Befeuchtungssysteme meist nicht in der Lage sind, ein Überfeuchten des Humidors zu vermeiden und durch das Lüften die überschüssige Feuchte aus dem Humidor entweichen kann. Aber das Lüften an sich ist absolut kontraproduktiv.

Kombinierte Kisten- und Einzellagerung im Humidor

TEMPERATUR UND LUFTFEUCHTE
Ein Umstand, der mich immer wieder erstaunt, ist die Tatsache, dass die Zigarre in einer Umgebung von 16–18 °C nicht merkbar länger das Bouquet erhält als bei einer Lagerung bei 22–25 °C. Man sollte eigentlich denken, dass flüchtige Substanzen bei hoher Temperatur schneller verfliegen als bei niedriger. Seltsamerweise kann man das bei einer Zigarre nicht beobachten. Im Gegenteil: Lagert man Zigarren längere Zeit bei Temperaturen unter 14–15 °C (selbst bei korrekter Luftfeuchte), so verliert die Zigarre extrem an Bouquet. Und zwar auch dann, wenn sie wieder normale Raumtemperatur angenommen hat. Das ist schon bemerkenswert, ist doch in unseren Köpfen verankert, dass eine niedrigere Temperatur eher konservierend und erhaltend wirkt. Für die Zigarre gilt das de facto nicht. Das ist das Ergebnis mehrerer Experimente für die Habanos Days Deutschland (2012, 2014, 2016 und 2018). Dazu hatte ich gleiche Zigarren für jeweils zwei Jahre unterschiedlich gelagert. Gekühlt gelagerte Zigarren waren neben denen, die bei stark schwankender Luftfeuchte gelagert wurden, immer die Verlierer in der Bewertung. Ist die Luftfeuchte zu hoch, so kann die Zigarre zu müffeln beginnen, behält aber weitgehend ihr Tabakaroma. Wird sie dann langsam wieder auf den korrekten Feuchtegehalt (12–13 Gewichtsprozent an Wasser bei Lagerung im Humidor mit einer relativen Luftfeuchte von ca. 70%) zurückgefahren, so verschwindet der Muffgeruch und die Tabakaromen treten wieder in den Vordergrund. Ganz anders verhält es sich, wenn die Zigarre austrocknet. Bereits einige Wochen Lagerung bei einer Luftfeuchte von weniger als 50–55% bewirken einen massiven, irreversiblen Aromenverlust. Ich habe bei den oben erwähnten Tastings allerdings etwas Interessantes festgestellt: Es gibt durchaus Zigarrenraucher, die den Geschmack einer einst ausgetrockneten Zigarre als angenehm bezeichnen. Natürlich sind aber die filigranen Aromen nach einer derartigen Trocknungstortur gänzlich hinüber. Wir alle wissen, dass der Tabak nach der Ernte getrocknet wird, und man fragt sich, weshalb das Austrocknen einer Zigarre mit Aromenverlust verbunden sein soll, wo doch das Trocknen des Tabaks keinen solchen bewirkt. Nun, die Trocknung des Rohtabaks erfolgt nicht unkontrolliert bei extremer Trockenheit, sondern bei einer Umgebungsfeuchte von 50–80 Prozent. Der Tabak ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht fermentiert. Nach der Fermentation wird er eingelagert und verliert durchaus weiter an Feuchtigkeit. Er trocknet aber nie vollkommen aus. Im Gegenteil, Tabak in den gepressten Ballen weist einen Wassergehalt von 18–25% auf. Eine fertige Zigarre, korrekt gelagert, hat einen Wasseranteil von rund 13%, also viel weniger.

Tabaktrocknung nach der Ernte bei schwankender Luftfeuchte

FAZIT
Um das Bouquet der Lieblingszigarren möglichst lange zu erhalten empfehle ich:
1. Bei längerer Lagerzeit Zigarren möglichst in der Kiste lagern.
2. Die Zigarren möglichst wenig Frischluft aussetzen, aber auch nicht luftdicht lagern.
3. Eine Luftfeuchte von ca. 70% möglichst konstant halten.

 

Marc André ist leidenschaftlicher Zigarrenraucher und Humidorbauer. Er hat verschiedene Befeuchtungselektroniken für Humidore entwickelt, ist beratend und ausführend im Bereich Humidor-Sonderserien und Individualanfertigungen tätig. Neben seiner Vortragstätigkeit zum Thema Zigarrenlagerung und Humidorbau betreibt er die Website www.humidorbau.de und bietet dort mit seinen zu 100% in Deutschland gefertigten Humidoren der Century-Serie vom kleinen Tischhumidor bis zum Agingschrank Lösungen zur professionellen Zigarrenlagerung an.


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