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Ein Tag im Leben von Ramón Emilio Cruz

Das trübe Licht der einzigen zwei funktionierenden Glühbirnen drinnen im Haus vermag nicht das rasch dahinschwindende Sonnenlicht auf der „Galeria“, wie die Dominikaner die von Gittern umgebene Veranda ihrer Häuser nennen, zu ersetzen.

 

Hier ist es, wo Ramón Emilio Cruz Entspannung sucht nach seinem Arbeitstag als Qualitätsprüfer in der Davidoff-Fabrik in Villa González, außerhalb der zweitgrößten Stadt des Landes, der Zigarrenhauptstadt Santiago de Los Caballeros.

„Kein schlechter Ort zum Entspannen, nicht wahr?“ fragt er mich. „Ich führe ein ruhiges Leben und genieße es wirklich sehr. Ich trinke nicht, abgesehen von einem kleinen Gläschen ab und zu. Ich rauche Zigarren und trinke Cola.“ Wie sich herausstellt, hat Ramón auch noch andere Hobbys, aber dazu kommen wir später. Er holt zwei Davidoff Nicaragua Toros aus dem Haus und wir zünden sie an, während seine Enkelkinder um uns herumschwirren.

Ich führe ein ruhiges Leben und genieße es wirklich sehr.

Trotz der Gitter an den Fenstern und der Veranda ist die Gegend, in der er lebt, keine schlechte. In manchen Teilen Lateinamerikas könnte man nachts nicht die Türen offen lassen, wie Ramón es tut, aber der Vorort Tamboril, wo er aufgewachsen ist und sein ganzes Leben verbracht hat, wirkt wie ein ziemlich ruhiger und sicherer Ort. Er und seine Familie haben ein sehr enges Verhältnis zu ihren Nachbarn. „Vielleicht haben sie einen anderen Nachnamen, aber sie gehören trotzdem alle zur Familie“, sagt er, während er auf die Dame im Haus nebenan blickt, die gerade ihre Blumen pflegt.

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Photo: Simon Lundh

„Was?“ fragt sie, als sie Ramóns Stimme hört und merkt, dass er in ihre Richtung schaut. „Sie machen ein Interview über mein Leben“, erklärt er ihr, „und ich habe eben gesagt, dass wir zwar verschiedene Nachnamen haben, aber alle eine Familie sind“. „Okay, ja, sicher“, antwortet sie mit einem Lächeln.

Trotz des unaufhörlichen Lärms von Motorrädern draußen auf der Straße ist der Verkehr nicht so stark wie auf vielen anderen Straßen in den Städten der Dominikanischen Republik. Jenseits der asphaltierten Straße verläuft ein fast ausgetrockneter Bach, der zu dieser Jahreszeit mehr Plastikabfall als Wasser führt.

15 Jahre Reisen um die Welt, 15 Jahre im selben Haus.

Ramón sieht mich an und lächelt, etwas, was dieser bescheidene Mittfünfziger während meines Aufenthalts oft tut. Er ist ganz offensichtlich glücklich, wo er ist. In den vergangenen 15 Jahren war er einer von vier Davidoff-Repräsentanten, die um die Welt reisen, um Besuchern bei verschiedenen Davidoff-Veranstaltungen zu zeigen, wie Zigarren gemacht werden. „Ich weiß nicht, wie viele Länder ich besucht habe, aber ich war fast überall in Europa, in den USA, China, Russland, Malaysia, Dubai, Macao und vielen anderen.

Im Alter von 16 oder 17 begann ich Zigarren zu rauchen.

Ich liebe es, andere Kulturen erleben zu können. Das seltsamste Erlebnis war wohl die Ukraine, wo die Frauen in Kleidern herumgehen, die kleine Taschen oder so was an den Schultern haben. Es ist auch in Japan so, da tragen die Leute Smoking mit kleinen Rucksäcken dran. Und in China sind so viele Menschen auf den Straßen unterwegs, dass du immer bei deiner Gruppe bleiben musst, damit du nicht verloren gehst. Denn wenn du verloren gehst, kümmert es keinen. Macao dagegen mag ich wegen der Kasinos und der Frauen.“

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Photo: Simon Lundh

Während dieser fünfzehn Jahre beruflicher Reisetätigkeit lebte Ramón im selben Haus; er wohnte sein ganzes Leben lang in der gleichen Nachbarschaft. Als er das Haus seiner Mutter verließ, zog er nur 200 Meter die Straße hinunter; alle bis auf eines seiner Geschwister leben in Tamboril. Ramón hat sechs Kinder im Alter zwischen 21 und 32.

Fünf seiner Kinder, samt einem Enkelkind, leben immer noch mit ihm und seiner Frau, mit der er seit 32 Jahren verheiratet ist, in ihrem 3-Zimmer Haus. Eine seiner Töchter lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Haus hinten im Garten, wo einer seiner Söhne ebenfalls eine kleine Wohnung hat.

„Meine Frau war mehr oder weniger zehn Jahre lang durchgehend schwanger“, sagt Ramón mit einem Lächeln. „Ich habe ein sehr soziales Leben. Ich sehe meine Verwandtschaft zwar nicht jedes Wochenende, aber doch sehr häufig.“ Vier oder fünf Mal im Jahr, wenn er reist, ist Ramón drei Wochen weg und seine Frau manchmal mit sechs Kindern allein zu Hause. Das bedeutet eine Belastung für die beste Beziehung. „Natürlich ist es anstrengend für sie“, meint Ramón, „aber sie versteht, dass das Einkommen für unsere Familie sehr wichtig ist. Alle unsere Kinder sind in die Schule gegangen, deshalb ist es für sie in Ordnung.“

Tabak im Blut

Tamboril ist eine vom Tabak geprägte Stadt, seit jeher. Laut Ramón arbeiten 80 Prozent der arbeitsfähigen Bewohner in der Tabakindustrie. Firmen wie La Aurora und La Flor Dominicana eröffneten hier ihre Fabriken aus gutem Grund: das Geschick der Leute von Tamboril ist weithin bekannt. Tabak ist im Blut der Einwohner, im Blut von Ramón. Als Tabakarbeiter in dritter Generation war er sein ganzes Leben hindurch von Tabak umgeben.

„Mein Großvater hat Zigarren von minderer Qualität verkauft“, sagt Ramon. „Die Zeiten waren damals andere. Er besaß ein kleines Stück Land, wo er Tabak kultivierte und erntete, und als Kind habe ich ihm bei der Ernte geholfen. Ich schnitt und sammelte die grünen Blätter. Er rauchte immer. Er nahm oft den getrockneten Tabak und rollte einen Zigarillo. Allerdings hat er mir nicht erlaubt, selbst zu rauchen, weil ich zu jung war, aber im Alter von 16 oder 17 begann ich Zigarren zu rauchen. Sind Sie hungrig?“

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Photo: Simon Lundh

Während wir uns unterhielten, hatte Ramóns Frau das Abendessen zubereitet. Wir gehen ins schwach beleuchtete Haus und essen gebratene Eier, Yuca, Reis, Bohnen, gebratene Kochbananen und hausgemachte Würste aus Schweinefleisch. Der Essbereich ist mit dem Wohnzimmer verbunden, das durch ein Regal voll mit Stofftieren und verschiedenen anderen Gegenständen in einen Fernseh- und Sitzbereich geteilt wird.

An der Wand über der Küchenzeile hängt ein Foto von Ramón mit Bill Clinton. „Er besuchte eine unserer Veranstaltungen in Deutschland“, erinnert sich Ramón. „Leider habe ich nicht viel mit ihm gesprochen. Er konnte nur ein paar Worte Spanisch. Trotzdem würde ich wetten, dass nicht viele Zigarrenarbeiter das Privileg hatten, in ihrem Arbeitsleben einen ehemaligen Präsidenten der USA zu treffen.“ „Es ist mir peinlich“, sagt Ramón plötzlich, als wir uns hinsetzen. „Warum?“ frage ich ihn. „Dass ich Ihnen nichts Besseres anbieten kann.“

Er blickt auf seinen Teller, während ich das Geschirr betrachte, das sich in der Küche aufstapelt, und einen Bissen von der Schweinswurst nehme, einer der besten übrigens, die ich je probiert habe. Ich erkläre ihm mehrmals, dass dies lächerlich sei. Obwohl ich kein großer Anhänger der dominikanischen Küche bin – normalerweise wird mir Fleisch mit Reis und Kochbanane nach zirka zwei Tagen langweilig – meine ich es ganz ernst mit meinem Kompliment zu der Wurst, und das heitert Ramón auf. „Ein Fleischhauer der Nachbarschaft hier in Tamboril macht sie“, erklärt er stolz. Jeden Abend setzt sich die gesamte Familie zusammen, um gemeinsam zu essen. „Eine meiner Töchter ist Ärztin. Sie hat unterschiedliche Dienstzeiten und kann nicht immer mit uns essen, aber sonst ist es die ganze Familie.“

Ein Hobby aus Kindertagen

Ehe Ramón abends seine Schuhe ausziehen und es sich in seiner „Galeria“ gemütlich machen kann, gibt es da noch etwas zu tun. Er führt mich durch das Haus in einen naturbelassenen Hinterhof. Unsere Ankunft erregt einige Aufregung unter den Tieren, die hier hinten leben. In einem Zwinger neben dem Schweinestall, in dem sich zwei Schweine befinden, bellt ein Hund, während Hühner und Hähne sich hinter den Bananenstauden in Sicherheit bringen, entweder durch Rennen oder durch ungelenke Flugversuche.

Dieser Hahn hier ist der Champion. Er hat zwei Kämpfe hintereinander gewonnen.

In einer Ecke des Gartens befindet sich eine Reihe von Käfigen und Hühnerkörben, teilweise in einem Schuppen, teilweise außerhalb. Er geht in den unglaublich stickigen Schuppen und holt einen seiner insgesamt zwölf Kampfhähne heraus. Ramóns Hobby seit Kindertagen ist der Hahnenkampf. „Dieser hier ist der Champion“, sagt er und lächelt stolz. „Er hat zwei Kämpfe hintereinander gewonnen.“ Während viele seiner Landsleute, seine eigene Familie mit eingeschlossen, sonntags die Kirche besuchen, verbringt Ramón seine Wochenenden häufig in den Hahnenkampfarenen. „Ich glaube an Gott, aber nicht an den der Katholiken oder Mormonen zum Beispiel. Es ist schwer zu erklären, aber ich bete nicht und nehme nicht an religiösen Veranstaltungen teil.

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Photo: Simon Lundh

Meine Frau und meine Kinder sind Katholiken und ich habe kein Problem damit, aber das ist nicht, was ich bin. Wenn sie in der Kirche sind, entspanne ich mich, gehe zu Hahnenkämpfen oder spiele Domino.“ Er setzt sich auf ein Sofa ohne Kissen und beginnt, den Hahn unter den Flügeln zu streicheln. „Das muss ich jeden Tag mit jedem Hahn machen. Ich streiche ihre Haut mit einer bestimmten Art von Tabak namens Andullo ein. Davon nehmen die Vögel Kalorien auf, so dass sie sich kampfbereit fühlen.“

Als ich ihm erkläre, was Leute in Europa oder den USA vom Hahnenkampf halten, lächelt er wieder. „Sie werden trotzdem kämpfen. Es ist ein grausamer Sport und nur hier, in Puerto Rico und Mexiko erlaubt, und ich weiß, dass es in den zivilisierten Ländern verpönt ist, aber es ist auch gute Unterhaltung“, schließt er seine Betrachtungen ab.

Er hält seinen Champion hoch und zeigt mir seine hintere Kralle, die aus tiergerechten Gründen abgeschnitten wird. „Man befestigt eine künstliche Kralle, damit die Hähne nicht verletzt werden und dann muss man warten, bis die Kralle nachwächst, ehe man sie wieder abschneidet, also nach einem Kampf kann ein Vogel mehrere Wochen lang nicht kämpfen.“

Langer Weg zur Arbeit, aber bessere Arbeitsbedingungen

Jeden Morgen steht Ramón um fünf Uhr auf. Eine Stunde später nimmt er den firmeneigenen Bus zur Fabrik in Villa González. Er arbeitet seit 26 Jahren bei Davidoff, davor war er einige Jahre bei zwei verschiedenen Firmen in Tamboril tätig gewesen. Obwohl es andere Firmen gäbe, die näher gelegen sind, hat Ramón eine tägliche Pendelzeit von einer Stunde und zwanzig Minuten in jeder Richtung gewählt.

Die Bedingungen hier sind so gut, dass es mir nie in den Sinn kommt, von hier wegzugehen.

„Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich Matasa, wo ich vor meiner Zeit bei Davidoff arbeitete, nicht verlassen wollen“, erklärt er, „aber mir wurden hier bessere Arbeitsbedingungen angeboten, wie etwa bessere Bezahlung und mehr Rechte. Außerdem wollte ich für die beste Firma arbeiten, und die ist einfach Davidoff.“ Bis vor einem Jahr war er Zigarrenmacher und arbeitete als Buncher und Zigarrenroller, aber jetzt ist er, offenbar etwas gegen seinen Willen, als Qualitätsprüfer tätig. „Ich wollte niemals ein Prüfer sein, weil ich es gewohnt war, bis zum Ende des Arbeitstages zu arbeiten und nicht länger. Sobald die Uhr fünf zeigte, ging man nach Hause, aber die Firma brauchte mich, so nahm ich die Arbeit als Prüfer an, und ich verdiene auch mehr. Ich bin eigentlich sowohl Aufseher als auch Qualitätsprüfer, und ich bin außerdem dafür zuständig, die Textur der Zigarren zu prüfen.“

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Photo: Simon Lundh

In der Fabrik sitzt er ganz vorne, wo er den ganzen Arbeitsbereich der Zigarrenroller überblicken kann. Der Raum ist hell, die Leute plaudern und lächeln, und über einem der Arbeitsplätze hängt ein Transparent mit der Aufschrift „Happy Birthday“. Dank seiner Anstellung bei Davidoff braucht sich Ramón auch weniger Sorgen zu machen über etwas, das dem ansonsten sorglosen Mann am meisten Sorgen macht – seine Gesundheit.

Als er zehn Jahre war, fand er heraus, dass er an Diabetes litt; seine Anstellung macht es leichter und erschwinglicher für ihn, Medikamente und Behandlung zu bekommen. „Alle Angestellten sind versichert, und es gibt ein Gesundheitszentrum am Werksgelände mit einem fix angestellten Arzt und verschiedenen Spezialisten, die wöchentlich vorbeikommen“, erklärt er. „Das bedeutet, ich kann den Arzt jede Woche aufsuchen, wenn es notwendig ist. Wenn du versichert bist, kannst du auch jedes Krankenhaus im Land aufsuchen, und die Firma wird für 80 Prozent der Kosten aufkommen.“

Tradition der Familie

In zehn Jahren könnte Ramón bereits in Pension sein, aber die Familientradition wird sich fortsetzen. Alle seine Geschwister sind Tabakarbeiter, und zwei von Ramóns Söhnen haben auch diesen Beruf gewählt. „Mein ältester Sohn arbeitet ebenfalls bei Davidoff, und der andere arbeitet in einer Fabrik hier in Tamboril. Dadurch sind wir jetzt schon vier Generationen von Zigarrenarbeitern.“

ramon emilio cruz inspector with his family davidoff villa gonzalez dominican republic

Photo: Simon Lundh

Der Arbeitstag geht zu Ende und der Raum leert sich, als Ramón seine letzten Stapel zählt. Er wird heute Abend nicht um fünf Uhr heimgehen. Die Angestellten verlassen einer nach dem anderen den Arbeitsplatz, während das Geburtstagstransparent über einem anderen Arbeitsplatz aufgehängt wird.

Morgen ist der Geburtstag eines anderen, und das Leben in der Fabrik geht weiter. Genau wie Ramón es mag.

„Die Bedingungen hier sind so gut“, wiederholt er, „dass es mir nie in den Sinn kommt, von hier wegzugehen. Wahrscheinlich werde ich hier sterben.“

 

Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Sommer-Ausgabe 2014 veröffentlicht. Mehr

Nachdem Simon Lundh 2005 sein Ingenieursdiplom in Vermessungstechnik erwarb, entschied er sich für eine journalistische Laufbahn. Er entdeckte die Welt der Zigarren während er für eine nichtstaatliche Organisation in Estelí, Nicaragua, arbeitete und verdient seinen Lebensunterhalt nun größtenteils mit Artikeln über Zigarren, Metal Music und Tattoos sowie Reiseberichten.


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