Ein Tag im Leben von Orlin Portillo

Orlin überwacht die Fertigung der weit- hin bekannten Zigarrenmarke Flor de Copan

„Der er Job hat mein Leben verändert.“ Das sagen vielleicht viele Menschen über ihre Arbeit, aber im Fall von Orlin Portillo bedeutete der Job wirklich grundlegende Veränderungen. „Ich wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf und wir hatten damals große finanzielle Probleme“, erzählt er mir. „Nach der Volksschule habe ich die Schule abgebrochen.“ Im Alter von 22 Jahren hatte er enorme Schwierigkeiten, einen Job zu finden, doch als sich die Gelegenheit ergab, eine Ausbildung als Buncher und Roller bei Flor de Copan zu machen, ergriff er diese – und kehrte auch in die Schule zurück. „Es war nicht einfach, aber es ist mir gelungen, zu arbeiten und gleichzeitig meinen Schulabschluss nachzuholen. Ich habe bis fünf Uhr nachmittags gearbeitet und danach bin ich in die Schule gegangen.“ Dies stellte die erste große Veränderung in seinem Leben dar. 13 Jahre später ist er als Leiter der Qualitätssicherung in der Flor de Copan-Fabrik in Santa Rosa de Copán im nördlichen Honduras tätig – jener Fabrik, die einer Tabakmarke ihren Namen gab, die Kunden heute in 15 verschiedenen Ländern genießen können. „Ich fand es schwierig, mir all diese neuen Fähigkeiten anzueignen. In den ersten zwei Jahren sah ich keine Chancen auf eine Karriere“, gibt Orlin zu. „Doch die Unternehmensleitung hat an mich geglaubt und mich ermutigt, zu bleiben. Da ich auch in die Schule ging, konnte ich nicht einfach das Handtuch werfen, und ich bin unendlich dankbar, dass sie mich unterstützt haben. Ich bin ein einfacher Mensch und stamme aus extrem armen Verhältnissen, die ich überwunden habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal ein Haus besitzen, geschweige denn in Santa Rosa leben würde. Aber als ich begonnen habe, mehr zu verdienen, ist es mir gelungen, mich hier niederzulassen, und dank der Unterstützung des Unternehmens konnte ich mein Ziel verfolgen und maestro de cigarro werden.“ Parallel zu seinem Job schloss er auch eine Ausbildung zum Buchhalter ab und traf seine große Liebe. „Als ich mit der Ausbildung begonnen habe, war ich noch ledig. Nach meiner Heirat musste ich Prioritäten setzen und meine Familie unterstützen. Aber am Ende hab ich meinen Diplom dann doch bekommen.“ Im Zuge seiner Ausbildung als Zigarren-Maestro wurde er in allen Bereichen der Produktion geschult, und inzwischen besteht seine Aufgabe darin, sicherzustellen, dass alles reibungslos abläuft. „Mein Job hat mir Türen geöffnet und meine persönliche Entwicklung gefördert. Ich beaufsichtige die Arbeit aller fünf Teams und muss in der Lage sein, Probleme zu erkennen und zu lösen. Ich konzentriere mich jetzt mehr darauf, eine gute Führungskraft zu sein. Um den Respekt der Angestellten zu gewinnen, ist es wichtig, dass auch ich sie respektiere.“

Orlin mit seiner Frau und den beiden Töchtern vor seinem Haus

Während er mich durch das Gebäude führt, stoppt er hin und wieder, um die Qualität von Zigarren zu prüfen. „Diese Flor de Copan Titán hier ist noch nicht ganz fertig. Das Ende ist ein wenig zu locker“, erklärt er und zeigt mir eine Zigarre, die er aus einer der Pressformen herausgenommen hat. Er schnappt sich ein Tabakblatt vom Arbeitsplatz des Bunchers, reißt ein Stück davon ab, faltet es und stopft es in die bereits gerollte Zigarre. Daraufhin begutachtet und befühlt er die Zigarre, schneidet die Enden gleichmäßig ab und legt sie zurück in die Form. „Es ist definitiv ein Vorteil, alle Schritte der Zigarrenherstellung zu kennen“, sagt er. „Ich bin der einzige Aufseher, der die Möglichkeit hatte, den gesamten Arbeitsprozess kennengelernt zu haben – vom Anbau über die Bearbeitung und Fermentation des Tabaks bis hin zum Bunchen und Rollen. Leute ohne diese Erfahrung sind manchmal eher pessimistisch und akzeptieren die Herausforderungen, denen ich mich gestellt habe, nicht.“ Orlin kennt sich in der Tat so gut aus, dass er bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, darunter als bester Buncher. „Das war vielleicht eine der wichtigsten Anerkennungen für mich, denn ich fand nicht, dass ich der beste war. Ich bekam sie für mein Verhalten, meine Fähigkeit, Aufträge auszuführen, pünktlich zu sein und ein Qualitätsprodukt zu machen. Die Tatsache, dass man mich als den besten betrachtete, hat mein Selbstwertgefühl sehr gestärkt.“ Als ich mit Orlin durch die Fabrik spaziere fällt mir plötzlich auf, dass hier niemand raucht. „Es ist nicht erlaubt, aber dort drüben haben wir einen eigenen Raucherbereich“, erklärt er und deutet auf ein Büro. Bei einer Buncher-Werkbank stoppt er, nimmt ein Buncher-Gerät in die Hand, holt sein Werkzeug aus der hinteren Hosentasche und beginnt, es zu reparieren. Auch das gehört zu seinem Job. Der 35-Jährige hat schnell Karriere gemacht und wenn man ihn in Aktion erlebt, dann wird klar, dass er ein fest entschlossener und motivierter Mensch ist, der sich viele Ziele gesetzt hat. „Ich möchte im Unternehmen weiterkommen. Das ist etwas, das man nie aufgeben sollte. Letztendlich will ich auch einer der besten Tester werden, damit ich einmal meinen eigenen Blend schaffen kann. Ich habe bereits ein bisschen herumexperimentiert und kann zwar zwischen stark, mild, süß und so weiter unterscheiden, aber ich bin noch weit davon entfernt, meinen eigenen Blend zu kreieren.“ Der Arbeitstag geht zu Ende, die Angestellten packen ihre Sachen und Orlin holt sein Motorrad, um heimzufahren. Sein Haus ist vom Eingang der Fabrik aus sogar zu sehen. Vor den Toren der Anlage hat ein Paar einen provisorischen Stand aufgebaut und verkauft Tortillas und Avocados an Arbeiter, die sich auf den Heimweg machen. Das Geschäft der beiden scheint gut zu laufen. Orlins Haus befindet sich in einer Sackgasse in einer nicht fertiggestellten Wohngegend mit kleinen, pastellfarbenen Häusern, die durch eine Stiftung – gegründet von Imperial Tobacco, dem Inhaber von Flor de Copan – in Zusammenarbeit mit Lions International errichtet wurde. Als dieses, im Grunde nur für Fabrikangestellte konzipierte Viertel vor drei Jahren geschaffen worden war, zählten Orlin und seine Familie zu den ersten Bewohnern. „Wir bekamen das Grundstück von der Stiftung. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits sechs Jahre im Unternehmen gearbeitet, und da mein Gehalt ausreichend und meine Leistungen gut waren, erfüllten wir die Anforderungen. Danach gab es eine Verlosung der Grundstücke und wir hatten das Glück, das größte zu bekommen. Wir sind die einzigen, die auch einen Garagenplatz haben, den wir bald überdachen wollen. Dann fehlt nur noch das Auto“, meint er laut lachend. Orlin und seine Frau haben zwei Töchter, drei und fünf Jahre alt, und wenn der Kredit in 20 Jahren zurückgezahlt ist, wird das Haus ihnen gehören. „All das verdanke ich Flor de Copan. Sie haben mich angestellt, obwohl ich keine Schulbildung hatte, mir geholfen, meine Ausbildung wiederaufzunehmen und mich zum Zigarrenmeister gemacht. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“

Gott hat immer schon eine wichtige Rolle in Orlin Portillos Leben gespielt; er geht drei Mal wöchentlich in die Kirche

Wir betreten das Haus durch das Wohnzimmer, wo eine Sofalandschaft fast den gesamten Raum einnimmt. Draußen, hinter einem Stapel unfertiger Holzbänke, die die zukünftige Garage blockieren – die Arbeiten eines Tischlers, der im Haus gegenüber wohnt –, geht die Sonne unter. Die Straßen erwachen zum Leben, als einige Nachbarn von der Arbeit nach Hause kommen und ihre Kinder draußen zu spielen beginnen. Orlin führt hier ein ruhiges Leben mit seiner Familie, doch das war nicht immer so. Was uns zur zweiten großen Veränderung in seinem Leben bringt. „Ich habe ziemlich viel getrunken und Zigaretten geraucht“, gesteht er. „Nicht oft, vielleicht ein Mal die Woche oder so, aber vor zwei Jahren hab ich damit aufgehört. Ich dachte mir: Wenn ich so weitermache, dann bin ich entweder bald tot oder ich lande im Gefängnis. Ich trinke zwar hin und wieder noch ein oder zwei Bier, wenn ich mit Freunden weggehe, aber nicht mehr.“ Statt dem Alkohol hat er sich Gott zugewandt. Als Orlin mir das erzählt, fällt mein Blick auf das einzige Bild, das an der langen Wand hängt – eine Darstellung des Letzten Abendmahls. „Ich bin immer schon gläubig gewesen, aber jetzt geh ich auch drei Mal die Woche in die Kirche.“ Heute ist einer dieser Abende, und so machen wir uns über enge, steinige, schwer begehbare Straßen auf den Weg hinauf zu einem Hügel, der nicht nur einen herrlichen Blick über die gesamte Stadt bietet, sondern auf dem sich auch eine katholische Kirche befindet. Als wir diese betreten, sehe ich nur wenige andere Besucher, darunter zwei ältere Männer, die ganz vorne sitzen und von denen einer leise singt. Orlin kniet sich neben ihnen nieder und betet. Ich lausche seinem leisen Murmeln, während er jenem Gott Respekt zollt, der ihm half, seine alten Gewohnheiten loszuwerden. Und um ehrlich zu sein, empfand ich es, obwohl ich überhaupt kein religiöser Mensch bin, als einen wahrlich bewegenden Moment. Denn im Fall von Orlin ist es ganz offensichtlich, dass ihm sein Glaube geholfen hat, oder vielleicht sogar ausschlaggebend war, sich von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien. Die beiden Männer knien vor dem Altar und ihr Gesang wird lauter; die anderen Besucher stimmen ein. Als sie fertig sind, signalisieren sie Orlin, dass er nun an der Reihe ist, vorzulesen, und er geht zum Altar und kniet davor nieder. Danach nimmt er eine Kerze und folgt den beiden Männern, die über Jesus singen und sich dabei in Richtung eines kleinen Hinterzimmers mit einem weiteren Altar bewegen. Einer davon trägt ein religiöses Symbol und mir ist nicht ganz klar, was sie in diesem Raum tun, aber als sie wieder herauskommen, gehen sie alle rückwärts. „Ein emotional starker Augenblick“, sage ich zu Orlin, als wir nach dem Gottesdienst hinausgehen, und er erwidert, „Ja, das war es“, und klopft mir auf die Schulter, als wolle er mir zu verstehen geben, dass ich soeben etwas Außergewöhnliches erlebt habe. „Ich weiß nicht, ob Sie religiös sind“, fügt er hinzu. „Aber für mich ist das hier sehr wichtig.“Ein Blick in seine Augen verrät mir, wie sehr ihn all das berührt. Und es handelte sich ja nur um einen spontanen Besuch, denn die Messe findet erst später statt. „Am Donnerstag ist der Tag der heiligen Kommunion, und wenn ich daran teilnehme, fühle ich viel Respekt, weil ich weiß, dass ich dann mit ihm rede. Das ist anders, als bei den üblichen Messen. Ich bin auf den Knien, bloßgestellt vor dem Altar, und obwohl ich heute nicht geplant hatte, herzukommen, habe ich mich ihm komplett hingegeben, als ich betete. Ich fühlte mich glücklich und demütig zugleich, denn vor ihm sind wir nichts. Wir stammen alle von ihm und er entscheidet, wann es an der Zeit ist, dass wir gehen.“

Nachdem Simon Lundh 2005 sein Ingenieursdiplom in Vermessungstechnik erwarb, entschied er sich für eine journalistische Laufbahn. Er entdeckte die Welt der Zigarren während er für eine nichtstaatliche Organisation in Estelí, Nicaragua, arbeitete und verdient seinen Lebensunterhalt nun größtenteils mit Artikeln über Zigarren, Metal Music und Tattoos sowie Reiseberichten.


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