rafael nodal portrait piano

Vom Flüchtling zum Meister der Boutique Blends: Rafael Nodal

Seine Ankunft als kubanischer Bootsflüchtling in den USA wird Rafael Nodal nie vergessen. Nach vier Tagen auf offener See hatten die rund 400 Männer, Frauen und Kinder in dem gebrechlichen Schiffskutter endlich Key West in Sichtweite. Sie waren am Ende ihrer Kräfte. Maximal zwölf Stunden hätte die Überfuhr dauern sollen, doch Unwetter, meterhohe Wellen und Orientierungsprobleme mündeten in einen dramatischen Überlebenskampf.

 

Die Küstenwache rettete mehrere Menschen in kritischem Zustand per Helikopter und lotste das Boot dann in den sicheren Hafen. „Wir hatten weder Wasser noch Lebensmittel“, erinnert sich Rafael Nodal an die nervenaufreibende Flucht. „Ich sah herrenlose Boote im Meer umher treiben … es war furchterregend!“ Das war 1980, am Höhepunkt der so genannten Mariel-Bootskrise, als innerhalb weniger Monate rund 130.000 Kubaner ihre Heimat verließen, um in den Vereinigten Staaten einen Neuanfang zu wagen.

rafael nodal portrait window

Photo: Manny Iriarte/Boutique Blends Cigars

Für den damals 15-jährigen Rafael Nodal eröffnete sich beim Betreten des amerikanischen Bodens eine neue Welt. Als Willkommensgruß reichte man dem Jungen einen Apfel und ein Coke. „Unvorstellbar. Ich hatte weder das eine noch das andere jemals zuvor in Händen. Ja, in Büchern hatte ich von Äpfeln gelesen und aus Filmen wusste man, dass Amerikaner Coca-Cola mögen. Aber das war’s auch schon“, lacht der heute zwischen Miami und Tamboril (Dom. Rep.) pendelnde Unternehmer. „Coke spielt nach wie vor eine große Rolle für mich.“

1964 in Ciego de Ávila in der damaligen Provinz Camagüey geboren, wusste Rafael Nodal schon mit sechs Jahren genau, welche Träume er verfolgen würde: er wollte Schlagzeuger werden. Dass es schließlich doch nicht die Trommel, sondern die Violine wurde, spielte für den musikalischen Jungen eine untergeordnete Rolle – Hauptsache Musik machen! Was er in der provinziellen kubanischen Musikschule begonnen hatte, verfolgte er in den Jahren nach seiner Flucht in New York City weiter – sein Musikstudium.

„Die drei Jahre in New York waren wie ein Traum: großartige Theaterhäuser, die Metropolitan Oper, das Lincoln Center, die New Yorker Philharmonie … überwältigend für einen kubanischen Jungen vom Land. Ich lernte Klavier zu spielen, komponierte und dirigierte.“ Für den jungen Musiker schien der Weg im Musikgeschäft vorgezeichnet.

Ein Unfall der Mutter war dann aber ausschlaggebend dafür, dass die Familie ihren Wohnort nach Miami verlegte, wo sie sich im Kreise kubanischer Auswanderer mehr Halt und bessere Lebensbedingungen erhoffte. Für den aufstrebenden Violinisten bedeutete der Umzug allerdings einen ziemlichen Knick im Leben. „Miami war 1983 noch eine relativ kleine Stadt, wo abertausende Kubaner versuchten, Fuß zu fassen. Kultur gab es wenig, nicht einmal ein symphonisches Orchester.“ Also verdiente er sich als Tischmusiker in diversen Restaurants – ein brotloses Geschäft, wie sich rasch herausstellte.

woermann nodal strickrock inter-tabac 2013

Photo: Christian Lünig

„Als Immigrant kannst du nicht wählerisch sein“, weiß Rafael Nodal aus jenen Tagen. „Ich war dankbar, eine Anstellung in einem Krankenhaus zu bekommen, und wischte Fußböden.“ Dennoch gab er die Musik nicht auf und studierte neben seinem Job weiter. Im Hospital legte er indessen eine steile Karriere hin, arbeitete sich zum Krankenpfleger hoch, wurde ins Management bestellt und – nach nur vier Jahren! – zum stellvertretenden Finanzdirektor des Hauses. Bevor er sich ganz seiner neuen Leidenschaft, den Zigarren, verschrieb, kulminierte seine Karriere in Spitzenpositionen eines großen US-amerikanischen Krankenhaus-Verbandes.

Das Ende seiner professionellen Musikerkarriere war damit besiegelt, nicht jedoch die Liebe zur Musik, die sich heute in der Namensgebung und in den Formatbezeichnungen seiner Zigarren widerspiegelt. Alle Vitolas seiner Markenfamilie Aging Room tragen klingende musikalische Bezeichnungen wie Vibrato, Rondo, Mezzo oder Alto. Seine jüngste Zigarrenkreation ist die Marke La Bohème als Hommage an eine seiner Lieblingsopern von Giacomo Puccini und als Ausdruck seiner Leidenschaft für die drei wichtigen Stationen in seinem Leben: Kuba, Musik und Zigarren. Gleichzeitig verkörpert die- ses Werk sehr gut die Freuden und Leiden von Künstlernaturen, zu denen sich Rafael Nodal nach wie vor emotional verbunden fühlt. Und die kubanische Vista der Kiste stammt (wie die Oper) aus den 1800er-Jahren. „Die Zigarre ist das, was ich mit dem Goldenen Zeitalter der kubanischen Zigarrenindustrie assoziiere … Romantizismus pur.“

Der große Wurf mit kleinen Mengen

Boutique Blends Cigars, das ist nicht nur der Firmenname, unter dem Rafael Nodal, seine charmante Frau Alina und Hank Bishop ihre Zigarren herstellen. Der Name ist Konzept: „Kleinserien – das ist unsere Philosophie“, erläutert Nodal die Idee, die das Trio auch auf den Zigarrenringen und -kisten kommuniziert. „Mit kleinen Mengen besonderer Tabake kann man keine Zigarren für die Massen rollen. Diese Erkenntnis liegt zwar auf der Hand, aber es hat ein Weilchen gedauert, bis wir sie verinnerlicht und darauf aufgebaut haben, anstatt zu versuchen, den großen Konzernen nachzueifern“, erklärt Rafael Nodal den Durchbruch und schildert anhand der Serie Aging Room Quattro F55, was er damit meint: „Wir hatten das Glück, im Lager von Woermann Cigars, unserem Distributeur in Deutschland, ein besonderes Sumatra-Deckblatt aus Indonesien zu entdecken.

Mit kleinen Mengen besonderer Tabake kann man keine Zigarren für die Massen rollen.

Nicht nur drei oder vier Jahre gelagert, sondern aus dem Jahr 2003! Wir haben damit erfolgreich experimentiert und rollen daraus die Serie Quattro F55. Sobald dieser wunderbare Wrapper aufgebraucht ist, wird es diese Zigarre nicht mehr geben. Dann ist Schluss.“ Übrigens, der Beiname Quattro steht in diesem Fall für viereckig, also box-pressed, und F55 bezieht sich auf den Tag, an dem die spezifische Tabakmischung im Blending-Logbuch der Manufaktur festgehalten wurde: am Freitag, dem 55. Tag des Jahres. Auf die Frage, ob die Quattro-Serie nach dem Aufbrauchen des Deckblatts das Zeitliche segnen würde, hat Rafael Nodal nur gewartet: „Der Blend für die Nachfolgeserie der Quattro ist ebenso wie für andere Linien schon fertig. Vor mehr als einem Jahr haben wir unseren Kunden so genannte Wildpacks vorgelegt – 10er-Kisten mit je zwei Zigarren in fünf Tabakmischungen. Die Konsumenten haben abgestimmt und wir wissen heute schon, welchen Blend wir für die nächste Quattro verwenden werden – es wird eine dominikanische Puro, die 2015 erscheinen wird.“

Ähnlich war es mit der Aging Room M21 Fortissimo, die im Sommer 2013 präsentiert wurde und ein sieben Jahre lang gereiftes Habano-Deckblatt aus der Dominikanischen Republik trug. Die Charge von 30.000 Stück neigt sich dem Ende zu, und das Nachfolgeprodukt dieses Jahres nennt sich M20 (wieder gemäß dem Tag der Kreation). Es ist von einem 14 Jahre lang gereiften mexikanischen Deckblatt aus San Andrés umhüllt. Auch diese Zigarre wird es nur unter dem Vorbehalt „so lange der Vorrat reicht“ geben.

Nodal Blanco aging room

Photo: Boutique Blends Cigars

Boutique Blends Cigars versteht sich als Labor für spezielle Tabakmischungen, die man nicht alle Tage findet und deren Verfügbarkeit ihr natürliches Ende hat, ähnlich großen Wein-Jahrgängen. „Was die Natur uns gibt, das geben wir gern weiter“, schwört Nodal auf den Einklang mit natürlichen Ressourcen. Ausschlaggebende Säulen eines derartigen Konzepts, das von vornherein klarstellt, dass ein Produkt nur über einen relativ kurzen Zeitraum verfügbar sein wird, sind naturgemäß Tabakproduktion und -verarbeitung. Woher kommen die besonderen Tabake, nach denen bekanntlich auch potente Konzerne mit enormen Budgets Ausschau halten? In José „Jochi“ Blanco und seiner Tabacalera Palma in Tamboril in der Dominikanischen Republik haben Rafael, Hank und Alina ihren idealen Partner gefunden.

Jochi verfügt nicht nur über ausladende Farmen, er experimentiert auch gern und ist recht zurückhaltend, was die Vermarktung seiner Tabake betrifft. Rafael Nodal weiß darüber ein Lied zu singen: „Seit ich mit Jochi zusammenarbeite weiß ich, dass er diese mysteriöse Area #1 zu verschweigen versuchte. Die war immer tabu, was mich Jahr für Jahr neugieriger machte. Ich fand schließlich heraus, dass er dort seit 1998 Tabake aus einer speziellen Habano-Saat reifte, aber eben nur in kleinen Mengen von jedem Jahrgang.“ Daraus wird jetzt die neue Aging Room Bin No. 1 mit enorm viel Ligero und einem Ecuador-Wrapper gerollt. Jochis kräftige Einlagetabake sind extrem lange ausgereift: sehr kräftig, aber gleichzeitig gut ausbalanciert.

So sehr sich Boutique Blends Cigars auf Kleinserien konzentriert, so einleuchtend ist es, dass das Unternehmen auch Tabake verarbeitet, die Jahr für Jahr in der gleichen Qualität verfügbar sind. Dafür steht (zumindest teilweise) die Marke Swag. Im Sommer 2014 erschien die neue Linie Swag Black, eine dominikanische Puro aus acht bis neun Jahre alten dominikanischen Tabaken. „Das ist zwar keine limitierte Produktion, aber wiederum eine Zigarre, an der sich die Geister scheiden: kräftig und ausdrucksstark“, betont Nodal. „Was ich nie mehr machen werde ist eine Zigarre, die einer anderen aus meiner Produktion gleicht.

Information:

Boutique Blends Cigars
www.oliveroscigars.com

 

Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Herbst-Ausgabe 2013 veröffentlicht. Mehr

His journalistic career began in 1979 as a freelancer for German-language newspapers in the US, and later for Austrian media including Die Wochenpresse and Das Wirtschaftsblatt. For ten years he also produced programs for over 60 radio stations around the world. In 1994, Reinhold C. Widmayer devoted himself to all things cigar, publishing technical articles in cigar magazines. He began working for Cigar Journal in 2001 and became editor-in-chief in 2005; under his auspices the journal has established itself as the world’s leading cigar magazine.


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