Portrait of Manuel Mota

Ein Tag im Leben des Expert Bunchers Manuel Mota

Es ist nur allzu leicht, sich in den endlosen Roller- und Buncher-Reihen der Tabacalera de García zu verirren, die mit fast 5000 Angestellten eine der weltweit größten Zigarrenfabriken ist. Rund 1500 davon machen handgefertigte Zigarren wie VegaFina, und einer der besten Mitarbeiter sitzt ganz hinten in einem großen Raum. Über seinem Arbeitsplatz ist eine Fahne mit der Aufschrift „ganador“ – Gewinner – angebracht und auf seiner roten Weste befindet sich ein Abzeichen mit den Worten „Expert Buncher“. Aber mehr dazu später.

Photo: Simon Lundh

In dem riesigen Raum herrscht reges Treiben, begleitet von allen möglichen Geräuschen. Überall zwängen sich die Leute aneinander vorbei. Die Gänge sind eng durch Tische, Zigarrenmodeln und Leute, die alles überwachen. Manuel Mota nahm seine Tätigkeit in diesem fast symphonischen, disharmonischen, mechanischen Ambiente, das an eine Mischung aus Kraftwerk und Verdi erinnert, im Jahr 1996 auf. „Mein erster Arbeitstag war am Tag nach meinem 20. Geburtstag“, erinnert er sich lächelnd. „Mein Bruder, der drei Monate davor hier zu arbeiten begonnen hatte, sagte mir, dass ich mich bewerben soll.“

Manuels Vorgesetzte sahen sein Potenzial mehr oder weniger von Anfang an. „Ich habe diesen Job nie schwer gefunden und ich glaube, das haben sie gemerkt. Die Qualität meiner Zigarren war gut und ich bin zügig vorangekommen. Und so haben sie sich jedes Mal, wenn es ein neues Produkt gab, zuerst an mich gewandt. Ich fand das sehr motivierend.“ Aber es ist nicht immer einfach. „Als größte Zigarrenfabrik der Welt haben wir die Wünsche vieler Klienten zu erfüllen. Diese können sich von Tag zu Tag ändern und wir müssen uns entsprechend anpassen.“

Photo: Simon Lundh

Im Laufe der Jahre machte Manuel so große Fortschritte, dass man ihn 2013 für das sogenannte Meister-Programm auswählte. Damit wurde er, neben seinen anderen Fertigkeiten, zu einem zertifizierten Zigarrenroller und ist nun einer von 40 bis 50 „Maestros“ des Unternehmens. „Deine Kollegen nominieren dich und ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie mir diese Chance gegeben haben. In der ersten Phase des Projekts wird man, je nach seiner Position, zum ,Expert Buncher‘ bzw. ,Expert Roller‘ ausgebildet und in der zweiten lernt man den anderen Job, also in meinem Fall das Rollen. Wir haben sechs Monate lang an Kursen und Workshops teilgenommen und gelernt, wie man eine Zigarre fertigstellt. Am Ende wurden wir ,Zigarrenmeister‘.“

Doch Manuel wurde nicht nur zum Zigarrenroller ausgebildet. „Wir haben jeden einzelnen Produktionsschritt gesehen und Dinge erfahren, die wir zuvor nicht wussten, weil man sich ja generell nur in seinem eigenen Fachgebiet auskennt. Wir haben die Tabakfelder in Santiago besucht und wurden in Sachen Umgangsformen, Arbeitsethik und Protokoll geschult. Außerdem haben wir ein wenig Englisch gelernt und wie man sich ausdrückt. Sonst könnte ich in Ihrer Gegenwart jetzt nicht so relaxt sein.“

Es half zudem, dass er vor einem Jahr als VegaFina-Torcedor nach Spanien geschickt wurde, wo er zwei Monate lang von Stadt zu Stadt zog und bei verschiedensten Events Zigarren rollte. „Es ist mir so vorgekommen, als würden wir durchs ganze Land reisen. Ich habe Zigarren gerollt und die Fragen von Leuten beantwortet. In Sevilla konnten die Kunden sogar ihre eigenen Zigarren rollen. Alles in allem habe ich es sehr genossen. Spanien und die Dominikanische Republik sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Wir sprechen dieselbe Sprache und sind fröhliche Menschen, die versuchen, sich nicht allzu sehr zu stressen.“ Natürlich gab es auch Unterschiede. „Sie sind organisierter und respektvoller. Wenn im Geschäft jemand vor dir dran ist, dann wartest du. Autos fahren nicht bei Rot über die Kreuzung und die Hundebesitzer in den Parks bringen kleine Tütchen mit und räumen die Hundehaufen weg.“

Obwohl er in Spanien meist arbeitete, hatte er auch ein wenig Freizeit, wie etwa in Bilbao, wo er zu einem Fußballmatch ging. „Athletic Bilbao spielte gegen Sporting Gijón und es herrschte eine Wahnsinnsstimmung. Da waren 50.000 Menschen in rot-weißen Outfits, viele davon auch mit bemalten Gesichtern. Ihre Reaktion, als Bilbao ein Tor schoss, war einfach unglaublich. So was sieht man bei den Baseball-Spielen hier nicht. Ein Tor im Fußball löst mehr Emotionen aus als zehn Home-Runs im Baseball. Sie haben schließlich 3:0 gewonnen und ich besitze jetzt sogar eine Anstecknadel“, erzählt Manuel und deutet auf sein Athletic Bilbao-Souvenir, das sich ein wenig oberhalb seines „Expert Buncher“-Abzeichens befindet.

Um 16.30 Uhr macht Manuel sein Motorrad unter hunderten anderen auf dem Parkplatz ausfindig. Der Platz liegt außerhalb von Ausfahrspuren, die mit Geländern versehen sind und mich an jene in Fußballstadien erinnern. Er setzt seinen knallroten Helm auf und wir fahren von der ein wenig von La Romana entfernten Tabacalera de García zu seinem Haus im Zentrum der Stadt. Der Verkehr wird zunehmend stärker, Motorräder schlängeln sich zwischen Autos durch und alle fahren viel zu schnell – zumindest was meine Auffassung von ordnungsgemäßem Verkehrsverhalten betrifft, ganz zu schweigen von meinem schwachen Herzen und sichtlich zartbesaiteten Gemüt.

Die Gegend, in der Manuel wohnt, ist der Inbegriff von Geschäftigkeit: Überall sieht man Straßenverkäufer, kleine Obststände und Läden. „Auf dieser Straße hier verkehren drei große Buslinien“, erklärt er mir später. Wir biegen in eine enge Gasse ab, die von kleinen, pastellfarbenen Häusern gesäumt ist. Erwachsene sitzen davor; Kinder mit freiem Oberkörper spielen auf der Straße. Die Atmosphäre erinnert ein wenig an das Harlem der Siebziger, das man aus Filmen kennt. Das einzige was fehlt, ist ein undichter Hydrant und ein Ghettoblaster, aus dem die Sounds von Grandmaster Flash dröhnen.

Wir parken vor einem kleinen, leuchtend gelben Haus neben einem Eckladen. „Ich lebe jetzt schon 20 Jahre in dieser Gegend“, erzählt Manuel. „Sie mag nicht gerade zehn von zehn Punkten bekommen und man sieht hin und wieder Raufereien unter Betrunkenen, aber ich fühle mich wohl hier, kenne meine Nachbarn und im Großen und Ganzen ist es ziemlich ruhig.“

Photo: Simon Lundh

Er lebt alleine doch seine Kinder und deren jeweilige Mütter wohnen in der Nähe. Als wir uns in der winzigen Küche niedersetzen, kommt sein elfjähriger Sohn Emmanuel hereinspaziert. „Er ist wirklich clever“, verkündet Manuel stolz, während sein Sohn leicht verlegen dreinschaut. „Ich habe drei Kinder mit drei Frauen, aber mit allen ein gutes Verhältnis. Ich kann meine Kids jederzeit besuchen oder sie kommen zu mir.“

Wenn er nicht Zeit mit seinen Kindern verbringt, dann widmet er sich seinen zwei typisch dominikanischen Hobbys. Das eine ist Softball. „Das liegt uns im Blut. Wir spielen am Wochenende, meistens nur zum Spaß, manchmal aber auch Turniere. Es gibt viele Felder mit Beleuchtung, aber das Spiel ist so populär, dass man sich anmelden muss und daraufhin Termine bekommt, wann ein Feld verfügbar ist.“ Manuels zweites Hobby ist Domino. „Am Wochenende spiele ich oft mit meinen Kollegen. Unter der Woche ist das schwieriger, weil wir unterschiedliche Arbeitszeiten haben. Domino schafft Freundschaften. Manchmal spielt man mit Leuten, die man nicht kennt, und hinterher hat man einen neuen Freund.“

Es ist stockfinster, als ich Manuel am nächsten Morgen wiedertreffe. Vom Verkehr des Vortags kein Spur. Am Weg zu ihm begegne ich nur einigen Motorrädern und gelegentlich einem kleinen Lastwagen. Ein paar Lebensmittelverkäufer sind mit ihren bedeckten Plastikkörben – was auch immer sich darin befinden mag – unterwegs zu ihren jeweiligen Straßenecken. Die Gasse ist, abgesehen von zwei Männern, die beim Eckladen neben Manuels Haus rumhängen, so gut wie ausgestorben und die Straßenbeleuchtung funktioniert nicht. Als ich eintreffe, ist Manuel in der Küche und erzählt: „Ich stehe auf, geh ins Badezimmer und dann fahre ich gleich zur Arbeit. Ich frühstücke in der Fabrik und koche fast nie zu Hause. Das ist etwas, das ich als Mann nicht wirklich kann.“

Wir machen uns auf, und erst als wir die größere Straße erreichen, die zur Tabacalera de García führt, sehen wir die ersten Lebenszeichen. Schon bald befinden wir uns in einer Kette von Einzelscheinwerfern und Bremslichtern, die fast ausschließlich zu einem der größten Arbeitgeber der Stadt unterwegs ist. Das Wachpersonal am Eingang hat die gelben Tore gerade so weit geöffnet, dass die Zweiräder passieren können. Vor einem kleinen Gebäude daneben steht eine große Gruppe arbeitsloser Leute Schlange – in der Hoffnung, einen Job zu kriegen. Eine Menschenschar bewegt sich zum Eingang der Fabrik und löst die Nachtschichtarbeiter ab.. Überall bereiten sich Angestellte auf einen weiteren Arbeitstag vor.

Photo: Simon Lundh

Manuel arrangiert seinen Arbeitsplatz und stellt eine hölzerne Tabakkiste mit Stahlnetz-Fächern vor sich hin, die mich an Käfige für kleine Nagetiere oder Vögel erinnert. Das ist der erste Schritt zur VegaFina Robusto, die er heute rollen wird. Er plaudert mit seinen Kollegen und scheint sich rundum wohl zu fühlen. „Abgesehen davon, dass ich hier gut verdiene, um für meine Familie zu sorgen, weiß ich auch, dass unsere Klienten unsere Arbeit sehr schätzen“, verkündet er stolz. „Das konnte ich sehen, als ich in Spanien eng mit den Kunden zusammengearbeitet habe, und deshalb würde ich gerne noch bessere Produkte machen.“

Manuel ist mit seiner Arbeit und seinen Leistungen zwar zufrieden, was ihn aber nicht davon abhält, noch höher hinaus zu wollen. „Ich möchte mein Abitur machen. Mit fehlen drei Jahre und mir ist bewusst, dass ich durch meinen Ausstieg viel versäumt habe. Ich würde gerne Wirtschaftsingenieur werden oder etwas lernen, das mir in meinem Arbeitsgebiet die Tore öffnet. Denn in der Tabacalera de García gibt es noch viel mehr Möglichkeiten, wenn man eine gute Ausbildung besitzt.“

Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Winter-Ausgabe 2016 veröffentlicht. Mehr

Nachdem Simon Lundh 2005 sein Ingenieursdiplom in Vermessungstechnik erwarb, entschied er sich für eine journalistische Laufbahn. Er entdeckte die Welt der Zigarren während er für eine nichtstaatliche Organisation in Estelí, Nicaragua, arbeitete und verdient seinen Lebensunterhalt nun größtenteils mit Artikeln über Zigarren, Metal Music und Tattoos sowie Reiseberichten.


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