Hat nicht jeder von uns Sehnsuchtsorte? In Zeiten von Reisewarnungen und geschlossenen Grenzen rücken sie stärker vor Augen denn je. Vor langer Zeit sah ich eine Abbildung des leuchtend weißen Castel del Monte in Apulien. Seither zieht es mich zum Stiefelabsatz Italiens. Meine Erwartungen, die sich über 30 Jahre lang aufgetürmt hatten waren hoch. Sie wurden um ein Vielfaches übertroffen.
Es ist soweit: ein kurzes Fenster in den Sommermonaten zwischen Lockdown eins und Lockdown zwei, Koffer packen und los geht’s von Wien nach Bari. Es ist eine langersehnte Reise in ein Land, wo vor knapp 800 Jahren ein Kaiser herrschte, der mich nicht weniger fasziniert als seine Bauwerke: Kaiser Friedrich II., auch „Stupor Mundi“ genannt, Bauherr von Castel del Monte.
Während einerseits eine Reise in die Vergangenheit wartet, ist die Freude auf das heutige Apulien nicht weniger groß: Freunde vor Ort erwarten mich, um mir die zigarrophile Seite des südlichen Italiens zu eröffnen, allen voran Evangelista Pice, Co-Autor dieser Reisegeschichte – er gab sämtliche zigarrenfreundliche Tipps zum Besten – und Claudio Crema, Organisator eines der lustigsten und spektakulärsten Zigarrenfestivals in Europa.
DIE TREMITI-INSELN
Ein Ratschlag vorab: Apulien ist groß (hier wird nur der Nordteil der Region vorgestellt, der südliche Teil folgt in einer der kommenden Ausgaben), es gibt kulinarisch, kulturell und landschaftlich viel zu entdecken. Daher sollte man viel Zeit einplanen und mobil sein. Die beste Reisezeit für den Stiefelabsatz ist Ende August, Anfang September. Die Strände beginnen sich bereits zu leeren, und das Zigarrenfestival La Vida Buena findet auf den Tremiti-Inseln statt.
Genau da beginnt unsere Reise. Die Tremiti-Inseln sind Nicht-Italienern meist völlig unbekannt; sie sind dem nördlichsten Teil Apuliens vorgelagert, der Gargano-Halbinsel, einem wunderschönen Nationalpark. Hier findet immer Ende August La Vida Buena, ein kleines und lustiges Event statt, organisiert von Claudio Crema, Präsident des Cigar Club La Escepción von Termoli. Auf dem Programm stehen alljährlich Verkostungen von gereiften kubanischen Zigarren, gepaart mit Champagner oder Rum, exzellente Abendessen und eine Bootsfahrt, natürlich auch mit Zigarren, Peroni-Bier, Rum und einem Sprung ins kristallklare Wasser. Die Inselchen sind autofrei und ein Paradies für Schnorchler und Taucher; wer bezüglich Unterkunft Luxus erwartet, ist hier falsch – man findet hier eher den Charme und den dementsprechenden Komfort der 1960er-Jahre. Aber eigentlich ist das egal, denn im Hotelzimmer hält man sich nie auf: Man verweilt mit den neu gefundenen Zigarrenfreunden auf der kleinen Piazza, in einer der Bars, bei den Veranstaltungen oder eben auf den Felsen und schaut spektakuläre Sonnenuntergänge oder vorher die Unterwasserwelt der Adria an.
DIE GETREIDEKAMMER FOGGIA
Zurück am Festland fahren wir Richtung Süden und folgen dem ersten zigarrophilen Tipp. Unser Ziel ist die Tabaccheria Giovannozzi in Foggia. Die Stadt ist umgeben von Weizenfeldern, sie gilt als Getreidespeicher Italiens.
Die Provinzhauptstadt war einst Residenzstadt von Friedrich II. Davon ist nichts mehr zu sehen, ein Erdbeben Ende des 18. Jahrhunderts zerstörte fast alle historischen Bauten. Aber für den Zigarren-, Pfeifen-, Rum- und Irish-Whiskey-Freund lohnt sich ein Halt auf jeden Fall. Die Tabaccheria wird seit 30 Jahren von der Familie geführt; Fabio Giovannozzi hat sich auf Pfeifen spezialisiert, bietet 1.200 Stück vor Ort an und kennt sich bestens bei Rum und Whiskeys aus. Patrizia, seine Frau, ist passionierte Zigarrenraucherin. Eine Führung im Walk-in-Humidor mit ihr ist eine wahre Freude. Ähnlich wie beim Festival werden wir auch hier überschwänglich und sehr gastfreundlich empfangen – eine Erkenntnis, die sich während der gesamten Apulien-Reise festigt und bestätigt: die Menschen sind offen, von einer ruhigen Freundlichkeit und ungeheuer gastfreundlich. Auf dem Weg weiter nach Süden, noch nahe bei Foggia, liegt die Tenuta Fujanera, ein Landgut, wo bisweilen auch Zigarren- und Spirituosen-Tastings stattfinden. Ein Stopp zahlt sich allein wegen der Pasta und Pizza aus.
DIE NORMANNEN-PERLEN AM MEER
Lässt man die Ebene hinter sich, prägen weiter südlich endlose Olivenhaine die Landschaft. Links das Meer, rechts knorrige, uralte Bäume. Zwischen all der Schönheit stören industriell zersiedelte Vororte immer wieder die Idylle. Mein Tipp: Augen zu und durch, fast jedes Dorf, jede kleine Stadt besitzt dann einen ganz eigenen Zauber. An der Küste reihen sich die Städtchen Barletta, Trani, Bisceglie und Molfetta wie weiße Perlen auf. Die historischen Stadtkerne wurden in den letzten Jahren saniert, und jeder Ort hat eine eigene imposante Kathedrale, erbaut zur Zeit der Kreuzzüge. Man schnuppert hier noch die Luft von Orienthandel, Pilgerzügen, Normannen und Byzantinern. Sowohl Bisceglie als auch Molfetta bieten Tabakshops, die auf Zigarren spezialisiert sind. Nach einem langen Ausflug am Hafen von Molfetta sitzen, in einer der Bars einen Sundowner trinken, die Kathedrale im Rücken und die Zigarre in der Hand – das ist (Urlaubs-)Glück.
DAS LANDESINNERE
Bevor wir Bari, die Hauptstadt der Region erkunden, machen wir einen Abstecher ins Landesinnere und entdecken gleich mehrere Highlights. Unterwegs zu einem der besten Weingüter Apuliens, der Tenuta Bocca di Lupo, deren Loggia eine gemütliche Zigarrenlounge beherbergt, stoppen wir an meinem Sehnsuchtsort: dem achteckigen Castel del Monte, dem Jagdschloss des Stauferkaisers Friedrich II. Es liegt still und erhaben, aber nicht trutzig oder mächtig, sondern elegant auf einer Hochebene über der baumlosen Murgia. Die Form, der Zweck, ja die ganze Architektur des weißen Kalksteinbaus bleiben ein Rätsel. Wer einmal dort war, kann sich diesem Zauber nicht entziehen.
Um den Geschmack Apuliens mit nach Hause zu nehmen, halten wir beim Weingut Bocca di Lupo an. Hier empfiehlt sich neben der Weinverkostung eine Kellerbesichtigung und dann der Kauf einiger Flaschen des Bocca di Lupo Castel del Monte. Dieser Wein aus der für Süditalien typischen Aglianico-Traube passt hervorragend zu Zigarren.
Einmal im Landesinneren machen wir noch einen spektakulären Abstecher – und bewegen uns kurz über die Landesgrenze Apuliens hinaus und damit in die Region Basilikata. Die Felsenstadt Matera ist so nahe und derart spektakulär, dass man sie einfach „mitnehmen“ muss. Die alte Stadt, ein einziges Labyrinth, ist eigentlich ein massiver Fels, in den Höhlenbehausungen gegraben wurden. Bis in die 1950er-Jahre waren diese noch bewohnt; inzwischen sind sie UNESCO-Weltkulturerbe. Eine dieser Grotten beherbergt das Lokal Radino Wine Bar Matera, Restaurant und Vinothek in einem. Im Herzen dieser Lokalität verbirgt sich aber der wahre Schatz: der Cigar Room, in einem Glaskubus mit perfekter Belüftung untergebracht. Dort, tief unter der Erde, eine Zigarre zu rauchen, ist ein echtes Erlebnis.
BARI
Zurück an der Küste müssen wir unseren Zigarrenvorrat wieder aufstocken. Die Provinzhauptstadt Bari bietet dafür gleich zwei großartige, auf Zigarren spezialisierte Shops. Beide liegen im mondänen bürgerlichen Gründerzeitviertel der Stadt, einer eleganten Einkaufsgegend. Alessandro Lorusso betreibt seinen Tabakshop seit neun Jahren und ist nicht nur Habanos Specialist, sondern auch Davidoff Ambassador. „Seit zwei Jahren läuft das Geschäft richtig gut, meine Kunden sind vor allem Touristen, aber auch die Baresi haben inzwischen den, fumo lento‘ [das Langsamrauchen] entdeckt“, freut sich Lorusso. Er ist gut sortiert; eine Partagás Serie D No.6 bekommt man hier für EUR 8,70, die Ramón Allones Specially Selected kostet EUR 12,50. Gar nicht weit entfernt logiert der zweite Zigarrenspezialist Baris: die Tabaccheria Lucatorto. Das Geschäft ist eines der ältesten Tabakfachgeschäfte der Stadt. „Mein Vater hat als einer der ersten bereits 1981 Zigarren verkauft“, erzählt Giuseppe Lucatorto. Inzwischen ist er nicht nur Habanos Specialist, sondern auch Kenner der Toscano- und New World-Zigarren. Er plant, sein Lokal um einen großen Verkostungsraum zu erweitern und Kaffee mit ins Programm zu nehmen. Eine Alec Bradley Black Market Robusto kostet bei Giuseppe EUR 7,20, die Romeo y Julieta Churchills EUR 22,00.
Verlässt man das mondäne Geschäftsviertel Baris Richtung Meer, gelangt man in die historische Altstadt. Das Gassengewirr wurde in den letzten Jahren liebevoll restauriert. Über den Köpfen in den Gässchen weht allerorts frisch gewaschene Wäsche; unten werden von Hand die für Bari typischen Orecchiette hergestellt. Diese Pasta kostet man am besten an einem völlig verrückten Ort: bei La Risto-Pazzeria Dregher. Pazzeria ist ein Wortspiel mit Pizzeria und bedeutet so viel wie Verrücktheit. Man muss dort gewesen sein, um den wundervollen Wahnsinn glauben zu können. Während man auf das Essen wartet – man kann zwischen Pizza oder typischen baresischen Gerichten wählen, und beides ist empfehlenswert –, schallen italienische Lieder über die Terrasse der Trattoria. Vergeblich suchen wir nach Lautsprechern oder der Live-Band im Inneren des Lokals. Giancarlo persönlich – Eigentümer, Pizzabäcker und passionierter Zigarrenraucher – singt beim Pizzabacken die Gassenhauer ohne Verstärker quer durch und aus seiner Trattoria heraus. Die Stimmung ist entsprechend aufgeheizt, der Abend wird lang, aber Zigarren haben wir genug dabei – und feiern gemeinsam mit Giancarlo die Gastfreundschaft und das gute Leben – La Vida Buena.