Eine der wichtigsten und größten Manufakturen Havannas am Ende des 19. Jahrhunderts war die Fabrik La Meridiana von Pedro Murias. Den Namen seines sicher stolzen Besitzers verkündete ein Schriftzug am oberen Rand der Fassade: La Meridiana Fabrica de Tabacos de Pedro Murias, war dort zu lesen. Später sollte noch ein anderer Name das Gebäude schmücken. Heute allerdings sind alle Buchstaben, die die Fassade einstmals zierten, längst verblichen.
Die Manufaktur La Meridiana befindet sich im Stadtteil Alt-Havanna (Habana Vieja) auf der Calle Agramonte (früher Calle Zulueta), zwischen der Calle Apodaca und der Calle Gloria. Nach einer Erweiterung im Jahr 1887 nahm das Gebäude einen ganzen Block auf der Calle Agramonte mit einer Grundfläche von beinahe 1400 Quadratmetern ein.
Dreizehn gewaltige Rundbögen säumen die untere Etage auf der einen Seite. Auf der Calle Apodaca gehörte zur Fabrik vorerst nur der rechte Teil des Gebäudes (die Länge von vier Rundbögen in der unteren Etage); der linke Teil kam erst später dazu. Ob das Gebäude links daneben von Anfang an stand oder erst später gebaut wurde, ist schwer zu sagen.
Es existieren aus der Zeit der Erbauung der Manufaktur nur Kunstdrucke, deren Abbildungen gelegentlich nicht ganz der Realität entsprechen. Auf diesen sieht es jedoch so aus, als hätte linker Hand zunächst kein Haus gestanden. Die Rundbögen in der unteren Etage sind zwar bei beiden Gebäuden identisch, doch die Unterschiede bei der Gestaltung der oberen Fensterreihe weisen auf den späteren Anbau hin. Das Gebäude hat zwei Etagen, die obere ist mit (zu der Zeit typischen) wunderschönen schmiedeeisernen Balkongittern gesäumt.
Nähe zum Bahnhof
Die Manufaktur La Meridiana befindet sich in der Nähe der Estación Central de la Ciudad Habana, dem Hauptbahnhof der Stadt. Die Nähe zu diesem Verkehrsknotenpunkt ist nicht zufällig gewählt, denn für die Produktion so vieler Zigarren waren beträchtliche Tabakmengen notwendig, die schnell und möglichst kostengünstig von den Vegas in der Vuelta Abajo in die Fabrik transportiert werden mussten. Die zu der Zeit gerade erst eingerichtete Bahnstrecke bot sich dafür hervorragend an.
Die Manufaktur La Meridiana von Pedro Murias | Photo: Claudia Puszkar
Pedro Murias: Heute fast unbekannt
Trotz des Verfalls wirkt das Gebäude aufgrund seiner massiven Bauweise auch heute noch sehr beeindruckend | Photo: Claudia Puszkar
Pedro Murias ist ein heute nahezu unbekannter Name. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts jedoch gehörte Murias in Havanna zu den führenden Herstellern von Zigarren. Und nicht nur er, sondern auch ein großer Teil seiner Familie war im Zigarrengeschäft tätig. Unter dem Namen Murias ist eine Vielzahl damals hoch geschätzter Marken kreiert und auf dem Weltmarkt eingeführt worden. Der Name Murias stand für Zigarren allerhöchster Qualität.
Pedro Murias begann bereits in den 1860er-Jahren Zigarren herzustellen, damals allerdings in einem kleinen Chinchal auf der Calle Corrales. Die Nachfrage nach Zigarren war damals noch relativ gering, sollte kurze Zeit später jedoch sprunghaft steigen. Aufgrund seines in zwei Jahrzehnten angehäuften Kapitals, das er sich mit dem guten Ruf seiner Zigarren verdient hatte, baute er 1882 als einer der ersten eine große, bedeutende Manufaktur: La Meridiana. Pedro Murias fertigte nicht nur seine eigenen Marken, sondern war auch an der Herstellung und Produktion der Marken seiner Verwandten, Antonio und Félix Murias, beteiligt. Das Geschäft lief überaus erfolgreich und gewinnbringend.
Unter Druck bei Kubas Kampf um Unabhängikeit
Doch Pedro Murias scheiterte finanziell wie viele andere Industrielle und Investoren in Havanna an den politischen Unruhen und dem Krieg um die Unabhängigkeit Kubas von den spanischen Kolonialherren. Dieser Krieg dauerte mit Unterbrechungen mehr als dreißig Jahre und fand seinen Höhepunkt in der Zeit zwischen 1895 und 1898. Schon die Jahre zuvor hatte es im Land immer wieder Aufstände und Unruhen gegeben. Doch in diesen letzten Jahren erreichte der Krieg nun auch die Hauptstadt Havanna.
Niemand wusste, was noch geschehen würde, und niemand, was danach käme. Viele Familien und Industrielle verließen schon zu Beginn des Krieges die Insel, da sie eine Enteignung oder – noch schlimmer – um Leib und Leben fürchteten. Einige hielten aus und versuchten weiter zu produzieren. Aber die Bedingungen waren schlecht. Viele Hindernisse erschwerten die Arbeit enorm. Tabak wurde nicht geliefert, in den Fabriken wurde ständig gestreikt, kaum etwas funktionierte mehr.
Die Bedeutung der Marke spiegelt sich auch in den reich verzierten Lithographien wieder | Photo: Claudia Puszkar
Besitzerwechsel
So wurde auch für Pedro Murias, der von ganzem Herzen Zigarrenproduzent war, die Lage immer schwieriger. Um am Ende nicht alles zu verlieren, entschied er sich kurz nach Ende des Krieges, einen Großteil seiner Marken und seine Fabrik La Meridiana an die englische Firma „Henry Clay and Bock Ltd.“ zu verkaufen.
Die Amerikaner hatten kurz zuvor in das Geschehen kriegsentscheidend eingegriffen und die Spanier – und damit auch die Kubaner – in die Knie gezwungen. 1904 ging die Manufaktur dann in amerikanische Hand über. Die Produktion sämtlicher Zigarren wurde in den damals neu errichteten La Corona-Koloss (der in jenem Jahr vollendete „Eisenpalast“) verlagert. Das immer noch beeindruckende Gebäude der Manufaktur La Meridiana benutzte man fortan als Tabaklagerhaus.
Die Marke El Rey del Mundo, die einstmals in der Manufaktur gefertigt wurde, zählt auch heut noch zu den bedeutendsten Habanos-Marken | Photo: Claudia Puszkar
Doch das sollte nicht das Ende der Manufaktur bedeuten. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts, etwa um 1910, übernahmen die Gebrüder Diaz dieses prächtige Gebäude und produzierten ihre eigenen Zigarren dort. Herausragend unter diesen war die Marke El Rey del Mundo („Der König der Welt“), die auch heute noch zu den bekannteren kubanischen Marken weltweit zählt. Auf historischen Fotos ist zu erkennen, dass die Fabrik zur Calle Apodaca hin sogar noch erweitert wurde, denn der Schriftzug auf dieser Seite des Gebäudes reicht über die Länge von nun ebenfalls dreizehn Rundbögen, wie auf der Calle Zulueta. Real Fabrica de Tabaco El Rey del Mundo de Diaz Hermanos y Cia prangte hoch oben an der Fassade.
Die Marke El Rey del Mundo war ursprünglich bereits 1848 von dem Deutschen Emilio Ohmstedt angemeldet worden und später unter dem Spanier Antonio Allones zu weltweiter Berühmtheit gelangt. 1905 nutzten die Gebrüder Diaz, drei exzellente Zigarrenkenner, ihre Chance und führten diesen erfolgreichen Weg fort. Wie lange die Zigarren der Diaz-Brüder in der Manufaktur La Meridiana gefertigt wurden, ist nicht genau auszumachen. In einem Handelsregister von 1940 jedenfalls hatten die Diaz-Brüder ihren Firmensitz schon wieder in eine andere Manufaktur verlegt. Was in den Jahren danach aus der Manufaktur La Meridiana wurde, kann heute niemand mehr so genau sagen.
Pedro Murias versucht den Neuanfang
Obwohl Pedro Murias alles darangesetzt und noch 1897 trotz aller Schwierigkeiten in seiner Manufaktur mit voller Kapazität produziert hatte, musste er sich damals dem Druck der Investoren aus England und Amerika geschlagen geben. Diese hatten vor allem durch den Kauf von Tabakplantagen die Kontrolle über das Rohmaterial in der Zigarrenindustrie erlangt. Zusätzlich kauften sie auch so viele Marken und Fabriken auf, dass sie ihrer immer kleiner werdenden Konkurrenz das Leben extrem schwer machten.
Pedro Murias liebte das Zigarrengeschäft von ganzem Herzen und wagte 1902 noch einmal einen Neuanfang mit einer kleinen Manufaktur in Guanabacoa am Stadtrand Havannas und der Produktion dreier neuer Marken: La Viajera, La Devesa und La Aurora. Doch er war zu diesem Zeitpunkt bereits ein alter Mann. Er starb 1906, nachdem er seine Geschäfte an seinen Verwandten Eduardo Suárez Murias übergeben hatte.
Das Gebäude heute
Heute ist das Gebäude außen in einem insgesamt eher schlechten Zustand, was es jedoch nicht vom Großteil der Bausubstanz dieser wunderschönen, aber dem Verfall preisgegebenen Stadt unterscheidet.
Es wird heute offensichtlich größtenteils als Wohnhaus benutzt. Denn die ehemaligen Trockenräume zur Lagerung des Tabaks, die sich beispielsweise entlang der Calle Agramonte erstrecken, dienen als Wohnungen. Diese Wohnungen sind innen zwar sehr klein, für kubanische Verhältnisse jedoch in einem recht guten Zustand. Eine nette Bewohnerin, die unser Interesse am Gebäude bemerkt hatte, gestattete uns überaus gastfreundlich einen Blick in ihre Wohnräume, die früher einmal besten Tabak beherbergten.
Hinter den Türen wo früher Tabak gelagert wurde, befinden sich heute Wohnungen | Photo: Claudia Puszkar
Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Winter-Ausgabe 2010 veröffentlicht. Mehr