Der Vergleich bringt oft neue Einsichten, vor allem, wenn es um Genuss und Geschmack geht. Erst der Vergleich mit anderen Zigarren schult den eigenen Geschmack und erweitert den Horizont. Am Anfang ist man schier überwältigt ob der Fülle des Angebots, und die Orientierung im Humidor des vertrauten Fachhändlers fällt sicherlich schwierig aus. Mit der Zeit wächst der eigene „Geschmackskatalog“ im Kopf und die Vorlieben entwickeln sich. Und damit herzlich willkommen in unserem literarischen Rauchsalon. Dieses Mal wollen wir uns einem gezielten Vergleich zweier Zigarren widmen. Es geht um die E.P. Carrillo Encore Majestic und die Gilbert de Montsalvat 15 Years. Warum dieser Vergleich?
Raymondo Bernasconi – das Schweizer Mastermind hinter der Marke Gilbert de Montsalvat – und Ernesto Pérez-Carrillo verbindet eine lange Freundschaft. Als es darum ging, eine Zigarre zum 15-Jahr-Jubiläum von Gilbert de Montsalvat zu erschaffen, schlug Ernesto kurzerhand vor, einen seiner bereits bestehenden Blends mit geringer Anpassung zu verwenden. Bernasconi entschied sich für den Blend der Encore-Reihe. Das Format Majestic war es, das in den diversen Fachmagazinen der Branche in den Himmel gelobt wurde und mit höchsten Punktebewertungen auf sämtlichen Skalen triumphierte. Der Unterschied zum Original liegt lediglich in Form und Format. Bei der Encore Majestic handelt es sich um eine box-pressed Grande. Die Gilbert de Montsalvat 15 Years ist eine Gordo und klassisch rund, mit einem geschlossenen Fuß und einem Pigtail am Kopf.
Ob diese kleinen Unterschiede tatsächlich so viel ausmachen, wollen wir in unserem Tasting dieses Mal erkunden. Idealerweise raucht man die Zigarren parallel. Wem das vielleicht etwas zu viel des Guten ist, dem sei empfohlen, die beiden Zigarren zumindest am selben Tag zu verkosten und zu genießen. Nehmen Sie sich Zeit, lassen Sie sich Zeit und erlauben Sie sich vor allem den Genuss. Machen Sie es sich gemütlich, greifen Sie zu Ihrem favorisierten Werkzeug und einem Getränk. Dieses Mal empfehle ich Ihnen entweder eine Kanne frisch gebrühten Schwarztee, eine hausgemachte Holunder-Limetten-Minze-Limonade oder ganz klassisch eine große Tasse Kaffee.
Wir wollen mit der Vorlage beginnen. Die Encore Majestic startet mit einer Prise Pfeffer. Es ist tatsächlich nur eine Prise, aber vor allem retronasal spürt man sie sofort. Doch bereits in diesem Moment zeigt sich eines der Merkmale, die diese Zigarre zu etwas ganz Besonderem machen. Es ist eine unterschwellige karamellige Süße, die direkt auf die Zungenspitze trifft. Wenn Sie das Maximum an Süße herauskitzeln wollen, empfehle ich Ihnen die 80/20-Methode. Einfach erklärt: Blasen Sie 80 Prozent des Rauchs durch den Mund und 20 Prozent retronasal aus. Dadurch können Sie die perfekte Balance zwischen Mundraum, Nase und Raumaroma wahrnehmen. So spürt man diese unglaubliche Süße sofort. Sie dient jedoch lediglich als Abrundung eines Geschmacksbildes, das sich erst nach und nach enthüllt. Die Encore Majestic aus der Casa Carrillo (vormals Tabacalera La Alianza) besticht vor allem durch ihre Komplexität.
Doch halt! Da gibt es ja noch eine zweite Zigarre. Bei solch einem mundwässernden Beginn darf man nicht auf die andere Hauptdarstellerin vergessen. Die mächtige Gilbert de Montsalvat liegt auch schon für ein Flammenopfer bereit.
Wow! Ich weiß nicht, ob es Ihnen genauso geht, doch der Unterschied ist fulminant. Fast kein Pfeffer, nicht einmal in der Nase, stattdessen spürt man die Süße unvermittelter. Die Würze, die den Gaumen kitzelt, hat eher etwas Nussiges, und eine interessante Note macht sich an den Zungenrändern bemerkbar. Man ahnt, was sich hier entwickeln kann. Nach den ersten Zügen beider Zigarren rate ich Ihnen zu einer kleinen Pause. Gönnen Sie sich einen Schluck. Nicht, dass die Zigarren unbedingt danach verlangen, aber wir sind doch alle Genießer, und in meinem Fall ist ein Schlückchen Tee niemals falsch. Die vermischten Raumnoten beider Zigarren sind herrlich – zugegeben, vielleicht nicht besonders herrlich für jemanden, der gerade den Raum betritt, aber für uns Passionados ist es göttlich!
Greifen wir wieder zur Encore Majestic. Die kleine Verschnaufpause von einer Minute hat ihr gut getan. Der Rauch ist nun etwas kühler; der Pfeffer kaum noch bemerkbar, dafür – und das mag auch an der Wahl meines Beigetränks liegen – erschmecke ich etwas Tee im Rauch. Unglaublich vielschichtig. Die Mitte des ersten Drittels wird von karamelliger Süße und Schwarztee dominiert, begleitet von einer undefinierbaren Würze, die den Gaumen umschmeichelt.
Ganz anders verhält es sich bei der Gilbert de Montsalvat 15 Years. Der anfängliche Eindruck an den Zungenrändern verstärkt sich nun. Auch ihr hat die kurze Verschnaufpause gut getan. Denn jetzt ist es eindeutig: Creme! Unverkennbar cremige Buttrigkeit. Diese Zigarre ist wahrlich fett und vollmundig. Die Süße erweist sich hier als noch etwas subtiler, und ich muss mich wirklich anstrengen, nicht zu hastig zu rauchen. Bereits jetzt kann man sagen, dass es sich um eine göttliche Schöpfung handelt.
Es ist wieder an der Zeit für eine Pause. Vor allem beim gleichzeitigen Rauchen von zwei Zigarren gilt es, Hast zu vermeiden. Es kann schon schnell deutlich zu viel werden. Ein kleiner Tipp am Rande: Gehen Sie bei solchen Experimenten kein Risiko ein. Essen Sie vorher reichlich. Stellen Sie sich vielleicht etwas zum Knabbern beiseite und eventuell auch einen Softdrink mit viel Zucker. Auf eine Überdosis Nikotin ist niemand scharf. Beide Zigarren sind zwar im mittelkräftigen Bereich angesiedelt, was den Nikotingehalt betrifft, aber das kann einen bei falscher Verfassung auch mal kalt erwischen.
Das Ende des ersten Drittels war bei beiden Zigarren eine absolut unterhaltsame Ouvertüre für einen gelungenen Opernabend. Die Encore Majestic legt zu Beginn des zweiten Drittels deutlich an Kraft im Aroma zu. Sie wird nun würziger und offenbart den Charakter einer Zigarre, die zur Gänze aus nicaraguanischem Tabak besteht. Zu den anfänglichen Schwarzteenoten gesellen sich Anklänge von Erde und Leder. Dirigiert wird dieses orchestrale Erlebnis von der karamelligen Süße, die wir seit Beginn der Zigarre erleben dürfen. Absolute Spitzenklasse! Ein Beweis dafür, dass Ernesto definitiv zu einem der größten Kreativen in dieser Branche gehört und zu einem der ganz wenigen Menschen, die sich einen Platz im Zigarrenolymp bereits gesichert haben.
Die Gilbert de Montsalvat kommt sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne gänzlich ohne Ecken und Kanten daher. Sie ist so rund, wie eine Zigarre nur sein kann. Das könnte man zwar negativ interpretieren, ist aber sicherlich nicht so gemeint. Denn was diese Zigarre zu Beginn des zweiten Drittels liefert, ist eine Cremigkeit, die man in vielen Zigarren vergeblich sucht. Die Süße tritt deutlich in den Hintergrund und bleibt kaum spürbar zurück. Die Würze der Schwesterzigarre geht hier eher in Richtung der Sherrynote eines 25 Jahre alten Whiskys aus der Speyside. Sie legt sich an die Zunge und unterstützt die weiche Textur des Rauches wie ein Mezzosopran die Arie eines Soprans im Hauptakt von Tosca – mögen Opernliebhaber mir verzeihen.
Beide Zigarren überzeugen auf ganzer Linie ab der zweiten Hälfte der Rauchdauer. Sie sind an Komplexität kaum zu überbieten. Die zwei Zigarren zeigen deutlich ihre Verwandtschaft. Aber sie sind – wenn auch verwandt – eher Cousinen zweiten Grades als Schwestern.
Die Encore Majestic besticht zur Hälfte mit Noten von Erde, Leder, Kaffee und Karamell, kombiniert mit leichter Honigsüße und einem Hauch von Vanille. Die Gilbert de Montsalvat hingegen überzeugt mit buttriger Cremigkeit, einem Hauch von Bergamotte, Honig, Milchschokolade und Kakao, gepaart mit der Süße von Butterscotch. All das ist eingebettet in einen unglaublich süß duftenden Rauch. Sie verströmt ein Aroma, das man in den frühen Morgenstunden bei einem Spaziergang durch Paris erleben kann, wenn die Bäckereien ihre frischen Buttercroissants aus dem Ofen holen, während der Duft von Baguette noch in der Luft liegt.
Bevor das Finale seine Töne offenbart, sollten Sie Ihrem Mund eine kleine Pause gönnen und vielleicht auch ein wenig Feuchtigkeit, falls Sie beide Zigarren auf einmal testen.
Der letzte Akt der Encore Majestic kommt mit viel Würze daher, begleitet von dunkler Schokolade und einem Hauch von Chili. Die Jubiläumszigarre von Raymondo Bernasconi bietet ebenfalls einiges an Bitterschokolade und die Cremigkeit lässt langsam nach. Zum Ende beider Zigarren bleibt schneeweiße Asche zurück – und die Lust auf Wiederholung.
Erlauben Sie mir ausnahmsweise ein kleines Fazit. Es ist unglaublich, wie verschieden die beiden Zigarren anmuten. Hätte ich nichts vom Blend gewusst, dann hätte ich wohl kaum darauf getippt, dass es sich um denselben Blend handelt. Es sind komplett verschiedene Zigarren. Punkt!
Im direkten Vergleich findet man Verwandtschaft, jedoch keine nähere. Es sind Experimente wie dieses, die einem immer wieder vor Augen führen, wie viel es in der Welt des Zigarrengenusses noch zu entdecken gibt, wenn man unvoreingenommen und sich der eigenen Fehler und Unstimmigkeiten im menschlichen Denken bewusst ist. Vielleicht dazu mehr beim nächsten Mal.
Bis dahin bleiben Sie uns gewogen und genießen Sie eine der größten Freuden des Lebens, die wir schlicht Zigarre nennen.