Photo: Simon Lundh | Thomas Brock und Grace Cabezas auf der Dachterrasse des Wingtip
„Nein“, lautet die schnelle und einstimmige Antwort von Grace Cabezas, Davidoffs Verkaufsleiterin in San Francisco, und Thomas Brock von Telford’s Pipe & Cigar in Mill Valley auf meine Frage, ob San Francisco eine gute Zigarrenstadt sei. „Doch sie hätte das Potenzial dafür“, fügt Cabezas hinzu, „angesichts der Tatsache, wie schön diese Stadt ist, mit ihren Hügeln und Aussichten und all dem fantastischen Essen.“ „Wenn man weiß, wo man hingehen kann, dann ist es nicht so schlimm. Aber es sollte einfach mehr Orte wie diesen hier geben“, sagt Brock und meint damit den Club im Dachgeschoss des Wingtip, ein exklusives ein Bekleidungsgeschäft im Herzen des Finanzviertels.
Photo: Simon Lundh | Occidental ist die einzige öffentlich zugängige Bar in der Stadt, in der man drinnen rauchen darf
Der Occidental Cigar Club, von dem er Miteigentümer ist, liegt nur ein paar Häuserblocks entfernt und zählt zu den wenigen Lokalen in San Francisco, in denen man drinnen rauchen darf. Der einzige Grund, wieso es ihn bei den immer strenger werdenden Rauchverboten in der Stadt überhaupt noch gibt ist, dass er vor 2003 gegründet wurde und jeder, der dort gearbeitet hat, Miteigentümer war.
„Hier herrschen drakonische Gesetze und die städtischen sind schlimmer als die staatlichen“, informiert Brock. „Die Staatsgesetze bauen darauf auf, dass Rauchen die Umwelt und das Arbeitsumfeld gefährdet, während die Stadt San Francisco es zu einem Problem der öffentlichen Gesundheit erklärt hat, was bedeutet, dass Angestellte keinem Passivrauch ausgesetzt werden dürfen. Diese Vorschriften gelten allerdings nicht, wenn das Unternehmen von den Inhabern betrieben wird.“
Rauchen ist in San Francisco nicht einmal in den Parks und an den Stränden erlaubt, die sich im Besitz der Stadt befinden. Bundesgärten, wie etwa der Presidio, bilden eine Ausnahme. Die Situation sei, so Brock, aber nicht so schlimm wie in Los Gatos (südlich von San José), wo man einen Strafzettel bekommen kann, wenn man die Hauptstraße entlangfährt und im Auto raucht, oder in Berkeley, wo es verboten ist, auf den Gehsteigen in den Geschäftsvierteln zu rauchen. „Die Situation hier ist aber nicht so tragisch wie in den meisten anderen US-Staaten“, meint er.
„Was? Du kannst Kalifornien doch nicht mit Florida vergleichen! In Miami Beach gibt es nur ein halbes Dutzend Plätze, wo man sich eine anzünden darf“, kontert Cabezas. „Na ja, Florida ist ein eigenes Kapitel“,gibt Brock klein bei. Das Wingtip befindet sich in einem alten Bankgebäude, dessen Safe in einen Humidor umfunktioniert wurde. Gleich außerhalb davon, zwischen einem Sortiment von Hemden, Krawatten, Gürtelschnallen und Manschettenknöpfen, Rasiermessern, Kopfhörern, Whisky, speziellen Golfschirmen und dem originalgetreuen Modell eines Sextanten, hat Davidoff seine eigene Zigarren-Auslage.
Die Dachterrasse ist ein perfektes Beispiel für das Potenzial, von dem Cabezas eingangs gesprochen hat. Sie bietet einen herrlichen Ausblick auf die Wolkenkratzer von San Francisco, eine Stadt, die trotz der manchmal nervigen steilen Hügeln zu den schönsten und interessantesten der USA zählt und ein reicheres Kulturerbe als die meisten anderen aufweist. Unweit des Wingtip liegt der Bezirk North Beach, wo sich einst zahlreiche berühmte Persönlichkeiten aufhielten und auftraten, von den Beatniks-Autoren Jack Kerouac und Allen Ginsberg über Musiker wie Barbra Streisand und dem Kingston Trio bis zu den Komikern Robin Williams und Bill Cosby. Hier arbeitete auch Maya Angelou als Folksängerin und Tänzerin, bevor sie als Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin bekannt wurde. Hinter fast jedem Häuserblock verbirgt sich ein Reichtum an kultureller und politischer Geschichte.
Photo: Simon Lundh | Bei Telford’s in Mill Valley auf der gegenüberliegenden Seite der Golden Gate Bridge bekommt man fast alles, was das Herz begehrt
Da in San Francisco fast alles zu Fuß erreichbar ist, hat man es nicht weit in die anderen Stadtviertel. Gleich neben North Beach befindet sich die größte Chinatown der Welt und weiter westlich der alte Hippie-Bezirk Haight-Ashbury, wo einst Musikgrößen wie Janis Joplin, Jefferson Airplane, Grateful Dead und viele andere ihren Wohnsitz hatten. Südlich davon liegt Castro, das größte Schwulenviertel der Welt, wo es fast mehr Regenbogen-Fahnen gibt als die Fensterbretter, an denen sie hängen. Zieht man Richtung Osten weiter, dann landet man in Mission, einem einst irischen und nunmehr lateinamerikanischen Bezirk, der heute ein Hipster-Paradies darstellt und das beste mexikanische Essen im ganzen Staat bietet.
San Francisco zählt sowohl in Sachen Kultur als auch Gastronomie zu den facettenreichsten Städten der Welt. Wenn man durch die Stadt spaziert – von Mission bis Fisherman’s Wharf, von Richmond bis Embarcadero –, findet man nicaraguanische, mexikanische, brasilianische, eritreische und marokkanische Restaurants ebenso wie skandinavische, italienische, spanische, arabische, chinesische, indonesische und vietnamesische Lokale – und natürlich gibt es auch amerikanische Küche.
Wir begeben uns ins Occidental, ein kleines, gemütliches Lokal, das ein wenig an Cheers, die Bar der gleichnamigen amerikanischen Sitcom, erinnert. Hier herrscht trotz der Hochhäuser rundherum – oder vielleicht gerade deshalb – eine vertraute Atmosphäre; hier kann man der Hektik des Alltags, Verkehr, Lärm und den strengen Anti-Raucher-Gesetzen entfliehen. „Das Schöne an dieser Bar ist, dass sich Leute unterhalten, die einander normalerweise nicht begegnen würden“, meint Brock. „Man trifft Bankiers und Anwälte ebenso wie Installateure, und sie haben ein gemeinsames Interesse.“ Einer dieser Kunden ist der 25-jährige Anlageberater Brian Mauck. „Hier wird einem nie langweilig“, sagt er. „Ich komme wegen der Leute her. Manche sind 75, andere 22, und das macht die Sache interessant. Man wird immer in Gespräche verwickelt. Ich würde mir wünschen, dass es mehr solche Lokale gibt.“ Die Aussichten dafür sind aber alles andere als gut. „In San Francisco werden keine neuen Lizenzen für den Tabakverkauf vergeben. Wer ein Geschäft eröffnen möchte, müsste also beim Gesundheitsministerium um Genehmigung ansuchen“, informiert Brock. Und was wäre nun, wenn die Inhaber des Occidental beschließen, ihr Lokal zu verkaufen? Könnten sie dann auch ihre Lizenz weitergeben? „Das weiß ich ehrlich gesagt nicht“,lautet Brocks Antwort.
Photo: Simon Lundh | Kunden des 850 Cigar Clubs genießen Unterhaltung und Smokes auf der Terrasse
Im 850 Cigar Club treffe ich Tom Horak, der als Zigarren-Makler für Quesada Cigars und JMG agiert, seit den Siebzigern in der Branche tätig ist und die Situation folgendermaßen beschreibt: „Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger stiegen die Steuern für Zigarren von 0 auf 65 Prozent. Tabakgeschäfte haben ums Überleben gekämpft und deshalb auch andere Dinge, wie Zubehör, Kaffee, Schokolade und dergleichen verkauft. Zur gleichen Zeit begannen Spirituosenläden, Zigarren anzubieten und langsam den Markt zu übernehmen. Denn manche Raucher, die bereits dort waren, um z. B. ein Sixpack zu kaufen, wollten nicht auch noch in ein Tabakgeschäft fahren. Somit haben viele dieser Shops zugesperrt bzw. sich mehr darauf konzentriert, andere Sachen zu verkaufen.“ Der Zigarrenboom in den frühen Neunzigern brachte – wie überall – auch hier einen Aufschwung, aber danach ging es wieder bergab. „Alles in allem hat sich in letzter Zeit nicht viel geändert. Da es nur wenige Lokale gibt, in denen man rauchen darf, merkt man nun größere saisonale Unterschiede. Wir haben zwar ein paar mehr inhaberbetriebene Bars, aber Occidental ist die einzige Zigarren-Bar.“
Wir sitzen auf der Terrasse des 850 Cigar Club, in der Ecke spielt eine Jazzband. Drinnen darf man zwar nicht rauchen, kann aber in gemütlicher Atmosphäre Billard spielen und trifft auf eine gemischte Klientel, also nicht nur Zigarrenraucher. Andere Lokale, in denen Rauchen erlaubt ist, findet man außerhalb der Stadtgrenzen, wie etwa Telford’s in Mill Valley, wo es die wohl größte Auswahl an Zigarren gibt. Horak empfiehlt außerdem die Cigar Loft samt offener Lounge in San Mateo, den Mission Pipe Shop in San José, den es schon seit über 30 Jahren gibt, und die Ohlone Cigar Lounge in Fremont.
Photo: Simon Lundh | Bruce Rothenburgs Prä-Embargo-Zigarren im Vendetta-Club des Fairmont Hotels
Dann wäre da noch ein weiterer, für alle offener Ort in San Francisco, an dem man rauchen darf: Vendetta im Fairmont Hotel. Der Raucherbereich drinnen ist zwar sehr klein und besteht quasi nur aus einer Couch, die sich im hinteren Teil einer Herrenboutique befindet, bietet aber einen herrlichen Ausblick und etwas, mit dem kein anderes Geschäft in den USA aufwarten kann: legale kubanische Zigarren. „Vor etwa 25 Jahren führte ich ein kleines Geschäft samt Cigar Club und eines Tages spazierte eine Frau herein und fragte mich, ob ich die alten kubanischen Zigarren ihres Mannes, der nicht mehr rauchen durfte, kaufen wolle“, erzählt mir Inhaber Bruce Rothenberg. „Soviel ich weiß, ist mein Geschäft das einzige in den USA, in dem man heute Prä-Embargo-Zigarren kaufen kann. Damals gab es aber noch ein anderes an der Ostküste. Der Besitzer hat mir geholfen, Zigarren von Sammlern zu erwerben, und als er in Pension ging, verkaufte er mir seine Sammlung.“ Da diese Stücke über 65 Jahre alt sind, sollte man nicht erwarten, dass sie wie reguläre kubanische Zigarren schmecken. „Sie sind definitiv geschmeidiger, haben keine Härte, keine Schärfe und keinen Nachgeschmack, aber jede Menge Aromen. Ich finde sie herrlich!“ Die Prachtstücke kosten zwischen USD 140 und 300 (EUR 113 und 243) und sie dürften ihm auch nicht so bald ausgehen. „Ich kaufe diese Zigarren seit 20 bis 25 Jahren von den selben Leuten und erwarte demnächst eine weitere Lieferung von ein paar hundert Stück. Im Moment habe ich also genug.“
Clubs
The Occidental Cigar Club
471 Pine Street
San Francisco, CA 94104
T: +1 415 834 0485
www.occidentalcigarclub.com
850 Cigar
Bar & Grill
850 Montgomery St
San Francisco, CA 94133
T: +1 415 398 0850
www.cigarbarandgrill.com
The Wingtip
550 Montgomery St
San Francisco, CA 94111
T: + 1 415 765 0993
www.wingtip.club
Vendetta at the Fairmont Hotel
950 Mason Street
San Francisco, CA 94108
T: +1 415 397 7755
www.vendettablu.com
The Cigar Loft
106 W 25th AveSan Mateo, CA 94403
T: +1 650 312 1141
www.cigarloft.net
Ohlone Cigar Lounge
Mowry Ave
Fremont, CA 94538
T: +1 510 972 4373
www.ohlonecigarlounge.com
Shops
The Humidor
Embarcadero Center, 1108 San Francisco, CA 94111
T: + 1 415 362 1405
Dean’s Fine Cigars
715 Market St
San Francisco, CA 94103
T: +1 415 957 1110
California Tobacco Center
1501 Polk St
San Francisco, CA 94109
T: +1 415 885 5479
Telford’s Pipe & Cigar
664 Redwood Hwy
Mill Valley, CA 94941
T: +1 415 388 0440
www.telfordspipeandcigar.com
Mission Pipe Shop
1205 The Alameda
San José, CA 95126
T: +1 408 293 5144
www.missionpipe.com
The Piedmont Tobacconist
Glen Ave Oakland, CA 94611
T: +1 510 652 7473
Burlingame Tobacconists
1404 Burlingame Ave Burlingame, CA 94010
T: +1 650 343 3300
www.burlingametobacconists.com
Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Frühjahrs-Ausgabe 2018 veröffentlicht. Mehr