Am Vorabend des 125. Jahrestages seit der Gründung der J.C. Newman Cigar Co. besuchte ich die älteste Zigarrenfamilie der USA. Die sehr persönlichen Einblicke – sowohl in die legendäre Fabrik El Reloj als auch in die Gedankenwelt der Firmeninhaber – waren beeindruckend.

Eric, Drew & Bobby Newman
GESCHICHTE EINATMEN
Manchmal hat man Glück. Mit meiner Recherche über ihre Firmengeschichte geriet ich mitten in die Renovierungsphase ihrer Fabrik in Tampa. Nichts spült mehr emotionsgeladene Anekdoten und Verborgenes zu Tage als ein Umbau. Und genau das war der Anstoß dieser Geschichte über die J.C. Newman Cigar Company. Den Mitgliedern der ältesten Zigarrenfamilie der Vereinigten Staaten ist es wichtig, ihre Geschichte zu erzählen. Gleichzeitig aber blicken sie nach vorne und investieren in ein Millionenprojekt: Der legendäre Firmenstandort in Ybor City wird generalüberholt. „Bis vor kurzem hatten wir den Namen J.C. Newman nicht beworben. Unser Firmenname stand nicht einmal auf unseren Zigarrenkisten. Wir blicken auf eine der größten Geschichten in der Zigarrenindustrie zurück, und dieser Meilenstein bietet die Möglichkeit, unsere Marken mit unseren Familiengeschichten zu verbinden“, erzählt Drew Newman. „Unsere Zigarrengeschichte ist tiefgründig und reich, wir haben 125 Jahre mit allen Höhen und Tiefen erlebt“, bestätigt sein Onkel Robert („Bobby“) Newman. An der Spitze des Unternehmens steht ein Triumvirat: Eric und Bobby Newman, dritte Generation der Zigarrendynastie, und Drew Newman, vierte Generation, Sohn von Eric. Spricht man von einer Dynastie, denkt man an ein einflussreiches Herrschergeschlecht – aber weder die Anfänge noch die geschäftliche Entwicklung über inzwischen mehr als 12 Jahrzehnte waren herrschaftlich. Während wir mit Helmen durch das Labyrinth der gigantischen Baustelle spazieren, zeigt Eric auf einen Raum mit einer Tapete aus den 1950er-Jahren. „Hier saß mein Großvater noch bis zu seinem Todestag. Er ging nach Hause und eine halbe Stunde später starb er, im stolzen Alter von 83 Jahren.“ Der derzeitige Präsident von J.C. Newman spricht von Firmengründer Julius Caeser Newman, der als Sohn europäischer Einwanderer in Cleveland, Ohio, im Jahr 1890 eine Lehre als Zigarrenroller absolvierte. In seinen späten Jugendjahren traf ihn die Rezession, er war arbeits- aber nicht hoffnungslos. Offenbar trieb ihn an, was noch heute bei den Newmans tief verankert ist: Zuversicht, Urvertrauen und unbändiger Fleiß. Mit 50 geliehenen Dollar in der Tasche erwarb J.C. etwas Tabak und rollte im Familienschuppen 1895 die ersten Zigarren. Bereits 1898 beschäftigte Newman 100 Arbeiter, und trotz großer Schwierigkeiten überstand die Manufaktur die Weltwirtschaftskrise. Im Jahr 1943 stieg Stanford Newman in die Firma ein, Vater von Eric und Bobby. Auch sein „Geist“ begegnet uns, während wir weiter die Umbauarbeiten beobachten.

Firmengründer Julius Caeser Newman verwirklichte den amerikanischen Traum. Mit 50 geliehen Dollar rollte er 1895 die ersten eigenen Zigarren
EL RELOJ
Noch unter Julius Caesers Ägide und bedroht von großen Konkurrenten, die versuchten, kleine Hersteller aus dem Geschäft zu drängen, wechselte das Unternehmen in eine Nische auf dem Markt: Premium-Zigarren. J.C. erkannte, dass es nur langfristig erfolgreich sein würde, wenn es sich in der Nähe von Tabakhäfen befindet und qualifiziertere Arbeitskräfte hat, und verlegte im Alter von 78 Jahren den gesamten Betrieb ins „Fine Cigar Capital of the World“ – Tampa, Florida. Stanford war für die Auswahl einer Produktionsstätte verantwortlich und fand die legendäre Fabrik El Reloj als idealen Standort. Tampa war damals das Epizentrum für Zigarren innerhalb der USA. Es gab Dekaden, wo hier mehr Zigarren aus kubanischem Tabak produziert wurden als in Kuba. El Reloj wurde 1910 erbaut und war die größte Zigarrenfabrik der Welt. Jede Fabrik hatte einen Spitznamen und durch die große Uhr am Fabrikturm, die lange den Takt des Stadtviertels bestimmt, wird das Gebäude bis heute nur El Reloj – die Uhr – genannt. Mit dem Kauf der Marke Cuesta-Rey gelang Stanford Newman ein Coup, der das Unternehmen weiter nach oben katapultierte. 1986 – als das Zigarrengeschäft einer großen Flaute ausgeliefert war – kaufte Stanford mit seinen Söhnen die Anteile der anderen neun Familienmitglieder auf. „Unsere Verwandten bekamen das Geld, wir hatten Schulden und eine Chance“, erzählt Eric.
INNOVATION, FLEISS UND GLÜCK
Nur wenige Wochen später rief Carlos Fuente Sr. Stanford an und machte ihm einem Vorschlag. Carlos wollte seine Fabrik in Tampa schließen und sich auf seinen Betrieb handgefertigter Zigarren in der Dominikanischen Republik konzentrieren. Er fragte Stanford, ob er daran interessiert wäre, seine Marken in der Tampa-Fabrik zu produzieren. Der stimmte zu – unter der Voraussetzung, dass Carlos handgerollte Zigarren für die J.C. Newman Cigar Co. herstellen würde. Später wurden Teile des Verkaufs und Vertriebs zusammengelegt, was beiden Familien zu noch mehr Erfolg verhalf. Bis heute dauert diese Partnerschaft an. „Fuentes Stärke lag in der Manufaktur von Longfillern, unsere im Verkauf und der Distribution, wir ergänzen uns bis heute wunderbar“,freut sich Eric. Im Jahr 2003 präsentierte J.C. Newman die Quorum, die in einer unabhängigen nicaraguanischen Zigarrenfabrik hergestellt wurde. „Als die Marke wuchs, wollten wir die Produktion und die Qualitätskontrolle persönlich überwachen“, erklärt Drew. Deshalb baute Newman 2011 Puros de Estelí Nicaragua, S.A., bekannt als J.C. Newman PENSA. „Heute beschäftigen wir 800 Mitarbeiter, die alle unsere nicaraguanischen Marken, darunter Brick House, Perla del Mar, El Baton und Quorum, in Handarbeit fertigen.“ Fuente stellt weiterhin die Zigarren der Marken Diamond Crown, Cuesta Rey und La Unica her. „Um im Geschäft erfolgreich zu sein, muss man hart und klug arbeiten, und es braucht auch immer etwas Glück“, sagt Eric. „Und genau das hatten wir damals im richtigen Moment mit den Fuentes“, vollendet Bobby den Satz seines Bruders. Die Harmonie und der Gedankenfluss der Newman-Führung ist bemerkenswert. Drei sehr unterschiedliche Charaktere und Talente, die einander mit viel Respekt und Gelassenheit begegnen, führen den Familienbetrieb beharrlich in die Zukunft.

Die legendäre Fabrik El Reloj wird generalüberholt. Ein großer, für die Öffentlichkeit einsehbarer Bereich für Longfiller-Herstellung entsteht
DIE FACKEL ÜBERGEBEN
„Unsere Philosophie war es, die Veränderungen in unserer Branche anzunehmen und sie zu unserem Vorteil zu nutzen“, gibt Eric eines der Erfolgsgeheimnisse der Firma bekannt. „Die Diamond Crown Lounges sind das beste Beispiel“, erklärt Bobby. Als in den USA die Rauchverbote um sich griffen, suchten die Brüder nach Partnern, die daran interessiert waren, den Zigarrenshops Raucherlounges anzugliedern. Die Diamond Crown Lounges waren geboren – und damit das erste Konzept von gebrandeten Zigarrenoasen weltweit. Was durch Rauchverbote an Kaufkraft verloren war, wurde mit den Lounges ausgeglichen – die Idee wurde zum Gewinn für die ganze Branche.
„Aber jetzt übergeben wir die Fackel an Drew“, sagt Eric. „Die Branche hat sich verändert, und mit Drew an Bord sind wir auf unsere aktuellen Herausforderungen vorbereitet. Er hat eine klare, langfristige Vision und die Energie, diese Ideen umzusetzen.“ Allerdings haben weder Eric noch Bobby vor, das Feld zu räumen. „Wir haben das Staffelholz übergeben, aber wir laufen noch mit, wir verfolgen Drew“, lacht Bobby. „Wir werden hier arbeiten bis zu unserem letzten Tag – wie unser Großvater und Vater, der seinen letzten Atemzug hier in seinem Büro tat.“ Eric und Bobby empfinden es nicht als Last, sondern als Privileg, so lange arbeiten zu dürfen. Dass Drew schon immer wusste, dass er die Fackel weitertragen wolle, sei ein Geschenk, das nicht selbstverständlich sei. Drew hingegen ist dankbar, so viel Erfahrung im Rücken zu haben – denn die beiden Altvorderen unterstützen ihn in seinen Visionen.

Die Newmans können auf eine der größten Geschichte in der Zigarrenindustrie zurückblicken. Drei Generationen und 125 Jahre voller Tiefen und Höhen
2020 UND DER BLICK VORAUS
El Reloj zum Jubiläum nicht nur rundum zu erneuern, sondern für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war der Wunsch des jüngsten Newmans. „Wir investieren hier in die Zukunft, für die nächsten vier Generationen.“ Drew Newman denkt nicht in Zehn-Jahres-Schritten, seine Visionen reichen viel weiter voraus. „Ich denke daran, was wir in 50 Jahren tun wollen, wer wir sein wollen, wie wir agieren. Ich erwarte, dass ich noch in einem halben Jahrhundert in diesem Büro sitze.“ Drew hat den Zeitgeist der jungen Passionados erkannt: ein fast wissenschaftliches, unermüdliches Interesse am Handwerk der Zigarrenherstellung gepaart mit dem Bedürfnis, zu erfahren, wer hinter der jeweiligen Marke steckt. Ab 2020 bietet die Fabrik nicht nur Führungen an, sondern auch umfassende Bildungserfahrungen, darunter Roller- und Blendingseminare. Ein traditioneller Lektor wird die Arbeiter, aber auch die Besucher unterhalten. Ein Museum lässt den Blick in die Vergangenheit zu und erzählt die Familiengeschichte, aber auch die Geschichte von Ybor City, der Zigarrenstadt der USA. „Wir schaffen ein umfassendes Zigarrenerlebnis, für das man keinen Reisepass braucht. Wir möchten hier wöchentlich Tausende von Besuchern empfangen, so wie das bei beliebten Brauereien und Weingütern im ganzen Land der Fall ist, um unsere Tradition und unser Handwerk zu teilen.“Infrastrukturverbesserungen am Gebäude, wie etwa eine neue Versandabteilung und zusätzliche Büros, werden das Wachstum des Unternehmens in den kommenden Jahren unterstützen. J.C. Newman-Fans können sich zudem auf neue Produkte freuen: The American, die erste und bisher einzige handgefertigte Puro aus den USA, war nur der Beginn der Releases zum Firmenjubiläum. Die Marke Diamond Crown erhält ab Mai mit einer limitierten Signature-Serie Zuwachs. El Reloj wird als Marke wiederbelebt und exklusiv im fabrikeigenen Shop erhältlich sein. Wenn die renovierte Fabrik im Frühjahr ihre Tore für Besucher öffnet, wird auch dieses etwas weniger bekannte Viertel von Ybor City wieder belebt werden und der Stadt einen Zustrom an Touristen bringen. Ähnlich wie damals die Turmuhr den Rhythmus der Menschen der Umgebung getaktet hat, wird El Reloj erneut im Mittelpunkt von Ybor City stehen. Unsere Reise in der Zeitkapsel quer durch die Fabrikhallen ist zu Ende. Wir stehen auf dem Dach und schauen auf Tampa. „Wir sind es unserem Großvater und Vater schuldig, in die Zukunft zu investieren“, schließt Eric seine Erzählungen. „Gleichzeitig ist die Öffnung und Renovierung von El Reloj ein Geschenk an die Stadt und eine Hommage an die großartige Kunst des Zigarrenrollens. Es ist seit Jahrhunderten gleich. Kein Gesetz, keine Regulierung, kein Verbot wird das jemals ändern können.“
Copyright Fotos: Laura Sfiat