Nick Perdomo Jun. hat den American Dream par excellence hingelegt. Nach 26 Jahren im Zigarrenbusiness und bald auf die Mittfünziger zugehend, führt er ein Unternehmen mit mehr als 4000 Mitarbeitern, bewirtschaftet 486 Hektar Tabakland und verfügt über eine Produktionskapazität von 80.000 Zigarren pro Tag. Über die tatsächliche Erzeugung hüllt er sich in Schweigen. Seine Marke zählt zum Standardrepertoire in den Humidoren rund um den Globus. Kein Wunder, dass immer wieder Investoren anstehen und verlockende Übernahmeangebote auftischen. „Meine Familie wäre auf Generationen finanziell sorgenfrei“, überlegt Nick. „Ich habe allerdings mehr zu hinterlassen als ein schuldenfreies Unternehmen und finanzielle Ruhekissen. Wären meine Kinder lieber in irgendeiner anderen Branche tätig, hätte ich wahrscheinlich weniger Skrupel. Aber ich sehe in Nicholas und Natalie euphorische Nachfolger, die Perdomo Cigars mit Leib und Seele leben und übernehmen möchten.“ Freilich bekommen weder der 26-jährige Betriebswirt noch seine junge Schwester, eine angehende Rechtsanwältin, das Familienerbe auf dem Präsentierteller serviert. Dafür sind Nick und seine Frau Janine zu sehr „alte Schule“. Sie lassen ihre Sprösslinge nicht in vermeintlich vorgegebene Rollen schlüpfen. „Einfach Sohn sein genügt nicht“, stellt der Patriarch klar. „Ich bin froh, dass Nicholas das ebenso sieht.“ Unter keinen Umständen möchte sich der Jüngste der Dynastie – er ist jetzt so alt wie sein Vater zur Zeit der Firmengründung – als Junior-Boss aufspielen. Auf diese Rolle bereitet er sich lieber gründlich vor: „Ich habe Mordsrespekt und Hochachtung für die Arbeit meines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters. Was sie geschaffen haben, werde ich nicht aufs Spiel setzen. Das geschieht nämlich in vielen Betrieben, wo Erben einen Job antreten, dem sie (noch) nicht gewachsen sind. Meinen Weg muss ich erst finden … das kommt schon noch.“
Die schwarz-weißen Bodenfliesen in der kleinen Manufaktur an 7111 West Flagler Street in South Miami hat Nicholas III noch klar vor Augen. Es war die erste richtige Unternehmensadresse der Perdomos nach der Garage, die zunächst als Provisorium hatte herhalten müssen. Als Air Traffic Controller am Miami International Airport hatte sein Dad einen erfüllten, wenn auch harten Job, aber es fehlte ihm im Alltag die Essenz seines Erbguts: der Tabak. Allen zeitlichen und finanziellen Entbehrungen zum Trotz startete er in besagter Garage als Nick’s Cigar Company eine eigene Fertigung und verkaufte im Geburtsjahr seines Sprösslings (1992) stolze 9500 Zigarren. David Garofalo von 2 Guys Smoke Shops in New Hampshire war einer der ersten Kunden und beteuert heute noch: „Diesen Mann zu kennen ist eine Ehre für mich.“ Wenn Nick später auf Road-Tour ging, wusch er seine Unterwäsche im Hotelzimmer, ackerte tagsüber spaltenweise die Telefonbücher nach Tabakläden durch und war bis zu drei Monate ununterbrochen auf Achse, getrieben von der Sehnsucht, es irgendwann zu schaffen. Ende 1994 konnte er seinem Vater eine freudige Nachricht überbringen: „Dad, ich habe eine Million Zigarren verkauft!“ Das war die Triebfeder für den Aufbau der Zigarrenproduktion in Nicaragua. Sohn Nicholas erinnert sich gern an die Adresse West Flagler Street: „Ich sehe mich auf dem Schoß einer Rollerin, die übrigens heute noch für uns arbeitet, und erinnere mich, dass ich immer wieder nach Zigarren langte, um zu imitieren, was Vater und Großvater ständig taten.“ Buchstäblich in der Zigarrenfabrik aufgewachsen zu sein, ist für Nicholas also keine Übertreibung. Hier hat er die ersten Runden in der Gehschule gedreht. Der Kleine war seiner Eltern und Großeltern zuckersüßer Mister Wonderful – und umgekehrt.
Gehen wir noch ein paar Schritte zurück: Im kubanischen San José de las Lajas geboren, hatte Nick Sen. das Zigarrenhandwerk in Havanna erlernt, so wie zuvor schon sein Vater Silvio Perdomo. So manchem Insider ist nicht bekannt, dass die Perdomos in Kuba de facto Zigarrengeschichte geschrieben haben: Beide, Vater wie Sohn, hatten sich in den 1940er- und 1950er-Jahren zu Spitzenpositionen in den legendären Manufakturen Partagás und H. Upmann emporgearbeitet. Nicks Onkel José Perdomo war jahrzehntelang Minister … zuständig für Tabak. Er ist auch als Autor eines umfangreichen Tabaklexikons in Erscheinung getreten. Allein Castros Revolution setzte den Karrieren ein schreckliches Ende. Silvio Perdomo wurde für 14 Jahre eingekerkert. Sein Sohn Nick Sen. überlebte die Schusswunden des Umsturzes nur dank einiger Botschaftsmitarbeiter Uruguays, die den Schwerverletzten mit einer Fahne ihres Landes bedeckten, um ihn vor weiterem Gewehrfeuer zu bewahren. Es wundert also nicht, dass Nick Senior den Exodus seiner Familie aus der Heimat konsequent durchzog, bis auch der letzte Angehörige die Insel verlassen hatte. Zurück in jüngere Jahre. Der Groschen für seine künftige Berufslaufbahn fiel bei Nicholas mit Beginn der High-School. „Meine Eltern waren ausgegangen und ich gönnte mir eines Abends eine Perdomo Habano Corojo Presidente, also ein recht großes Kaliber. Ich hatte Musik an, paffte vor mich hin und dachte ,wow, das Ding ist richtig gut.‘ Damals überlegte ich wahrscheinlich zum ersten Mal, wie es wohl wäre, in diese Fußstapfen zu treten.“
Der erste Blend, an dem er aktiv mitarbeitete, war Perdomos Factory Tour Blend vor vier/fünf Jahren. Nicholas ist einer der Top-Verkäufer des Familienbetriebs und führt häufig die Rangliste der Mitarbeiter mit den meisten Verkaufsgesprächen an. In Estelí sieht man ihn, obwohl frisch verheiratet, regelmäßig. Die Fabrik, die die Einheimischen seit ihrer Errichtung im Jahr 1999 El Monstro nennen (8200 m2), wird derzeit um gigantische High-Tech-Lagerhäuser erweitert. Der Grad an Technologie, der hier zur Anwendung kommt, ist für die Branche vollkommen neu … von der computergesteuerten Ein- und Ausgangs- über die vollautomatische Klimakontrolle bis hin zur unterirdischen Destillierung des Wassers. In El Monstro oder auf den Plantagen, welche die Familie seit 19 Jahren bewirtschaftet, packt er an, wo es gerade notwendig ist. Auf den jüngsten Farmen namens „Finca Natalie“ (nach seiner Schwester) wurde ein Irrigationssystem installiert, das jedes der 86 Felder innerhalb der Krater-Umwallung individuell mit genau der Menge an Wasser und Nährstoffen versorgt, die Boden, Lage und Sonneneinstrahlung verlangen. Das ist Hochtechnologie, die es nicht von der Stange zu kaufen gibt, ausgeklügelt von Vater und Sohn gemeinsam mit Wissenschaftern aus aller Welt. „Ich möchte jeden Handgriff verstehen, kennen und können“, bekräftigt Nicholas. Sich unterzuordnen ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Bis vor kurzem sprach er Arthur Kemper, den Langzeit-Vizepräsidenten der Company und die rechte Hand seines Vaters, mit „Sir“ an. Er weiß, dass sein Platz in der Hierarchie nicht gottgegeben ist.
Auch Natalie verbrachte die Sommer ihrer Kindheit in Estelí: „Jeder Tag war wie eine Lektion in Landwirtschaft, Tabakverarbeitung und im Domino-Spiel. Wir werden die Leidenschaft meiner Eltern und Großeltern unseren eigenen Kindern weitergeben. Perdomos wird es in dieser Branche noch lange geben, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ Als Anwältin will sie eines Tages mithelfen, das Reglement gegen Premiumzigarren zu bekämpfen. „Ich werde für unsere Familie und für die Rechte unserer Konsumenten kämpfen. Generationen von Perdomos haben die größten Schwierigkeiten überwunden. Ich werde das ebenfalls tun.“ Perdomo Cigars ist nicht nur eines der modernsten und wahrscheinlich das innovativste Unternehmen der Branche. All die Erfindungen zu erklären, die Nick Perdomo ersonnen hat (s. auch CJ 1/2011), sprengt den Rahmen dieser Story bei weitem. Aber wer jemals Lust auf eine mehrtägige Zigarren-Akademie hat, der sollte sich einer Perdomo Factory Tour anschließen (s. CJ 2/2012). Mehr als 1000 Fachhändler und ihre besten Kunden tun dies Jahr für Jahr. So zum Beispiel auch Jirˇi Rabel, Perdomos Distributeur in der Tschechischen Republik, oder Ramon Zapata Pérez aus Spanien. Wie für so viele anderen auch sind diese Tage die beeindruckendsten ihrer langen Karriere im Business. Perdomo zählt zu den Top fünf Zigarrenmarken der Welt und hält vor allem in den Vereinigten Staaten einen Spitzenplatz. Allein von der Perdomo Reserve Champagne gingen im Vorjahr fünf Millionen Stück in den USA über die Ladentische. „Das ist quasi unser Coca-Cola. Nahezu jeder Tabakladen führt Reserve Champagne“, ist Nicholas stolz. Der Absatz an Perdomo-Zigarren hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Wahrscheinlich auch deshalb, weil Perdomo als Unternehmen einen strikt kundenfreundlichen Kurs fährt: maximale Qualität plus minimaler Profit ergibt optimale Kundenbindung, getreu nach dem Motto Nick Perdomos: „Einen Kunden zu gewinnen dauert mitunter Jahre. Verlieren kannst du ihn aber in wenigen Minuten.“
Copyright Fotos: Juan Manuel Garcia