PUNCH MANTUA 08

„Jeder wird glücklich auf seine Weise!“

    Heinrich Villiger wird in wenigen Wochen 90 Jahre alt. Er hat viel erlebt: die Ups and Downs der Zigarrenbranche, einen Weltkrieg, Wirtschaftswunder, Börsencrashs, Finanzkrisen, den Klimawandel. Fragen zur Zigarre hat er schon oft vorausschauend und kompetent beantwortet. Cigar Journal wollte nun mit diesem Gespräch etwas persönlichere Fragen an jenen Mann stellen, der seit fast 70 Jahren das Familienunternehmen Villiger Cigars leitet.

    Cigar Journal: Herr Villiger, vor einigen Jahren haben Sie die Hysterie rund um das Genussmittel Tabak mit dem Bild eines Pendels verglichen, das gerade stark in die negative Richtung ausschlägt. Wo befindet sich Ihrer Meinung nach das Pendel – am schlimmsten Punkt der negativen Richtung oder bewegt es sich wieder auf die Mitte zu?

    Heinrich Villiger: Ich weiß nicht, ob mein damaliger Vergleich der Hysterie rund um das Genussmittel Tabak mit einem Pendel, das einmal nach links und dann wieder nach rechts ausschlägt, richtig war. Ich würde eher sagen, dass das Pendel auf der falschen Seite hängen geblieben ist. Die World Health Organization [WHO] drischt unablässig weiter auf dem Tabak herum, als ob sie keine wichtigeren Aufgaben hätte. Zur Erinnerung: Die WHO wurde erst am 7. April 1948 als Sonderorganisation der Vereinten Nationen gegründet. Die Zahl der Mitgliedsländer beläuft sich auf 194. Sie hat ihren Sitz in Genf und beschäftigt weltweit eine respektable Zahl von Mitarbeitenden, die einen Leistungsausweis erbringen müssen. Dabei spielt offensichtlich der Kampf gegen den Tabakgenuss die größte Rolle, aber der Leistungsausweis ist mager – zum Glück. Zum Glück vor allem für die von der Tabakbranche abhängigen Wirtschaftszweige. Allein in Deutschland bezifferten sich die Einnahmen aus der Tabaksteuer im vorigen Jahr auf 14,4 Milliarden Euro. Fazit: Vergessen wir die WHO. Sie wird ihr angestrebtes Ziel, den Tabakgenuss bis Mitte dieses Jahrhunderts zu eliminieren, ohnehin nicht erreichen.

    C.J.: Gab es Ihrer Ansicht nach einen grundlegenden Fehler, den die Branche in diesen Zeiten der militanten Ablehnung von Tabak gemacht hat? Oder positiver gesagt: Was hätte die Zigarrenbranche besser machen können?

    H.V.: Ich denke, nein. Es ist immer schwierig, gegen den Zeitgeist anzukommen. Meine Meinung dazu: Lasst die Hunde am Straßenrand bellen – die Karawane zieht weiter. Vor allem auch bedingt durch die unterschiedlichen tabaksteuerlichen Gesetzgebungen und die Tabakmonopole in Frankreich, Italien, Spanien und Österreich war die Tabakindustrie vor der Errichtung eines großen gemeinsamen Marktes ein stark kartellisierter Wirtschaftszweig, in dem die Verbände und die Monopole tonangebend waren. Das änderte sich schlagartig mit der Errichtung eines großen europäischen Marktes. Das stellte für die Industrie eine der größten Herausforderungen dar – sie hat ja auch zur Konzentration auf signifikant weniger Hersteller geführt. So gibt es beispielsweise in der Schweiz zurzeit nur noch zwei Zigarrenhersteller – im ehemaligen Stumpenland ist nur noch Villiger präsent, und unser einziger noch bestehender Mitbewerber hat seine Produktion in Brissago in der italienischen Schweiz.

    C.J.: Welchen Rat haben Sie an einen Enthusiasten, der überlegt, seine eigene Zigarrenmarke aufzubauen?

    H.V.: Eine eigene Zigarrenmarke zu kreieren, ist relativ leicht, wenn auch arbeitsintensiv: Findung und Schutz (Registrierung) der Marke, Suche nach einem qualifizierten Hersteller, Gestaltung des Werbe- und Promotion-Materials. Aber wenn das alles steht, kommt unweigerlich das Vertriebsproblem. Ohne Vertriebsorganisation lässt sich das Produkt nicht distribuieren und verkaufen. Und Sie werden heute kaum noch einen Distributeur finden, der bereit ist, die Kosten und das Risiko der Einführung einer neuen Marke zu übernehmen. Dazu kommt, dass der Zigarrenmarkt bereits heute schon in einem Maß „überflutet“ ist, dass Neuheiten kaum noch einen Platz an der Sonne finden.

    C.J.: Wenn Sie an Ihre Mitbewerber denken – wem zollen Sie wofür besonderen Respekt?

    H.V.: Mitbewerber haben wir in unserer Branche nach wie vor „jede Menge“. Vor Jahrzehnten spielte sich der Konkurrenzkampf auf nationaler Ebene ab, heute tummeln sich mehr oder weniger alle Hersteller auf allen Märkten „quer durch den Garten“, selbstredend mit sehr unterschiedlicher Bedeutung von Land zu Land. Im Gegensatz zur Zigarette konnten sich bei der Zigarre kaum einzelne individuelle Marken auf internationaler Ebene durchsetzen – mit Ausnahme vielleicht von Davidoff. Respekt verdient hier Kuba. Nach der Revolution und der danach folgenden Verstaatlichung der gesamten kubanischen Tabakwirtschaft in die damalige Cubatabaco gelang es dieser, ein weltweites, zentral geführtes Vertriebsnetz aufzubauen und zugleich für das breite Sortiment individueller Marken die zentrale Marke Habanos für sämtliche kubanischen Zigarren und Zigarillos zu etablieren. Initiiert wurde – nach der Revolution – dieser ganze Vorgang von Francisco Padrón, dem ersten Präsidenten von Cubatabaco. Padrón war kein Politiker, sondern Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität von Havanna. Mit Padrón gründete ich vor 30 Jahren das erste Joint-Venture für den Vertrieb kubanischer Zigarren in der Bundesrepublik Deutschland. Heute umfasst dieses Vertriebsnetz um die vierzig Importunternehmen rund um den Globus, in der Regel Joint-Ventures mit nationalen Teilhabern und unterschiedlichen Beteiligungsverhältnissen. In Deutschland ist es die 5th Avenue Products Trading, die zugleich auch für den Vertrieb in Österreich und Polen verantwortlich zeichnet. In der Schweiz folgte einige Jahre später die Intertabak AG, an der wir ebenfalls eine Beteiligung halten. Francisco Padrón – der bereits seit langem verstorben ist – zolle ich ganz besonderen Respekt – ein Vollblutunternehmer trotz Funktionär eines staatlichen Monopols. Padrón ist vor etwa 20 Jahren verstorben.

    C.J.: Was war in Ihrem Berufsleben der ergreifendste Moment?

    H.V.: Der ergreifendste Moment, nicht nur in meinem Berufsleben, sondern auch im Kreis meiner Familie, war der Tod meines Vaters. Alles, was ich in meinem Leben gelernt habe, habe ich ihm zu verdanken. Auch er war durch und durch eine Unternehmerpersönlichkeit.

    C.J.: In welcher Rolle haben Sie sich nie wohl gefühlt – und in welcher besonders?

    H.V.: Ich traue auch mir das Attribut „Unternehmer“ zu. Gegenüber Zahlen bin ich grundsätzlich misstrauisch – denn mit Zahlen lässt sich immer alles beweisen. Deshalb fühle ich mich auch nicht wohl in meiner Rolle als Präsident des Verwaltungsrates, der alle Bilanzen abzeichnen muss. Zumindest passiert das nur einmal im Jahr. Viel lieber schaue ich mir die Tabakfelder in Kuba und auch in Brasilien an oder schaue den Zigarrenroller*innen über die Schultern.

    C.J.: Was war beruflich Ihr größter Fehler? Und was war Ihr größter Erfolg?

    H.V.: Jeder macht Fehler im Leben, nicht nur Mitarbeiter auf unteren Stufen, sondern auch Führungskräfte. Wir hatten seinerzeit versucht, als Diversifikation eine zweite Sparte aufzubauen – das Fahrradgeschäft. Es lief mehr oder weniger alles schief, was schieflaufen konnte. Das Unternehmen schrieb nur Verluste, wir hatten einen Führungswechsel nach dem anderen, sodass ich mich letztlich entschließen musste, die ganze Sparte Fahrrad zu verkaufen. Zum Glück fanden wir einen zahlungskräftigen Käufer, das US-Unternehmen TREK. Das hat mir sehr weh getan, umso mehr als sich das Fahrradgeschäft in den letzten Jahren zu einer ausgesprochenen Wachstumsbranche entwickelt hat.

    Ja, und was war der größte Erfolg? Der größte Erfolg ist eigentlich der, dass uns der Spagat vom seinerzeitigen reinen Stumpenhersteller zum Anbieter von hochpreisigen handgerollten Premiumzigarren gelungen ist. Das vollzog sich selbstredend nicht von heute auf morgen – neue Marken mussten kreiert und die Produktion in der Karibik und in Zentralamerika aufgebaut werden. Vor einigen Jahren kam dann Brasilien noch dazu, wo der Einstieg der dortigen Hersteller in das „Luxus-Segment“ schlicht verschlafen wurde, und dies trotz der exzellenten Qualität der brasilianischen Zigarrentabake im Nordwesten des Landes.

    C.J.: Wird die Welt immer schlechter oder immer besser?

    H.V.: Ich meine, dass es meine Nachkommen schwerer haben werden als ich – nicht kurzfristig, aber nach zwei oder drei Generationen. Die Welt wird einfach zu klein für die vielen Menschen, die laufend „neu dazu kommen“. Wo sollen die alle hin und ihr Auskommen finden? Da bringt auch eine „grüne Revolution“ keine Lösung. Und freiwillig wird niemand auf einen gewissen erarbeiteten Luxus verzichten, und sollte der noch so gering sein. Was man hat, hat man.

    C.J.: Welche Veränderungen fallen Ihnen gesellschaftlich am meisten auf – und welcher Umbruch gefällt und welcher sorgt Sie?

    H.V.: Wir stehen einer Verrohung der Gesellschaft gegenüber. Wir können uns dagegen nicht abschotten, wir müssen damit leben. Die Schweiz ist ein kleines Land, aber wir sind keine eigenständige Insel. Wir müssen uns einerseits integrieren in ein großes und selbstbewusstes Europa, andererseits unsere Eigenständigkeit bewahren. Das werden wir auch schaffen. Und was passiert mit dem Tabak? Auch der Tabakgenuss wird überleben, und zwar beide Welten – die Genusswelt der Zigarrenraucher und die Suchtwelt der Zigarettenraucher. Der Einzelne trägt schließlich die Verantwortung für das, was er tut.

    Jeder Mensch pflegt sein Gärtchen. Der eine hat Kaktusse, der andere pflegt sein Tabakfeld. Dazwischen ist eine breite Spielwiese – jeder wird glücklich auf seine Weise.

    www.villigercigars.com

     

     

    She learned her journalistic skills from scratch at a regional daily newspaper, for which she wrote articles for many years. Through working for the magazine Der Spiegel in Rome she had the opportunity to increase her professional knowledge in the field of media. Katja studied art history and Romance studies in Heidelberg, Palermo and Rome and, during the course of her studies, spent many years in Italy. The country was her teacher in things related to pleasure and lifestyle. She has been working for Cigar Journal since 2004. In 2010 she became editor-in-chief.


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