Seit dem 19. Jahrhundert gilt das San Andrés-Tal im Bundesstaat Veracruz als Zentrum für Tabakanbau von Mexiko. Das vom nördlichsten tropischen Regenwald in Lateinamerika umgebene Tal erwies sich als perfekt für die Kultivierung von Tabak und ist heute von ebenso großer Bedeutung wie Estelí für Nicaragua und Santiago für die Dominikanische Republik – wenn natürlich auch in geringerem Ausmaß. Während die jährlichen Premiumzigarren-Exporte aus Nicaragua und der Dominikanischen Republik jeweils bei weit über 100 Millionen liegen, exportierte Mexiko 2014 nur etwa 5 Millionen Zigarren.
Einer der Gründe für diese niedrige Zahl waren gesetzliche Beschränkungen, die es für Fabrikbesitzer unmöglich machten, mit verschiedenen Blends zu experimentieren. Bis vor acht Jahren war es sogar illegal, Tabak zu importieren – und danach sehr teuer. Das ganze änderte sich erst vor über zwei Jahren. „Als es schließlich erlaubt war, gab es immer noch zwei Einschränkungen: Einfuhrsteuern und die Vorschriften des Landwirtschaftsministeriums“, erinnert sich Alejandro Turrent von der Tabacalera Alberto Turrent. „Der Steuersatz betrug 45 Prozent und die Abgaben lagen bei rund 10 Prozent. Es war also einfach zu teuer. Aber nun können wir bessere und komplexere Blends kreieren.“
Die neuen Regelungen machen den Import von Tabak aus Nicaragua und der Dominikanischen Republik vergleichsweise einfach. „Unser überzeugendes Argument war, dass die Schweizer die besten Schokoladeproduzenten und die Italiener die besten Kaffeehersteller sind, obwohl sie keinen Kakao bzw. keine Kaffeebohnen haben“, meint Jorge Ortiz, Besitzer von Santa Clara Puros.
Im Zuge der Veränderungen kam es auch zur Gründung eines Zigarrenfestivals, organisiert von der mexikanischen Vereinigung von Zigarrenherstellern (AMEFAP), der fünf Produzenten aus der Region angehören – jeder mit eigener Geschichte und Profil.
Die mit Abstand größte Manufaktur ist die Tabacalera Alberto Turrent. „Im Vorjahr produzierten wir rund fünf Millionen Zigarren“, informiert Alejandro. „Wir haben unseren eigenen Vertrieb in Mexiko und unser Hauptklient in den Vereinigten Staaten ist Altadis. Zudem haben wir drei wichtige Kunden in Russland, der Ukraine und der Slowakei.“
Das Unternehmen wurde 1880 von Alejandros Ururgroßvater gegründet und konzentrierte sich damals einzig auf den Tabakanbau, der nach wie vor einen großen Teil des Geschäfts ausmacht. „Wir ziehen hier drei Arten von Tabak: Habano Criollo, San Andrés Negro und Sumatra. Sumatra wird nur für Deckblätter verwendet, während die beiden anderen sowohl für Einlagetabak als auch für Umblätter eingesetzt werden können. Im Vorjahr kultivierten wir Habano Criollo auf einer Fläche von 40 Hektar, San Andrés Negro auf 100 Hektar und Sumatra auf 30 bis 40 Hektar. Wir verkaufen vorwiegend an Altadis in den USA, My Father Cigars und Agrotabacos in Nicaragua sowie General Cigar Company in der Dominikanischen Republik.“
Was das Zigarrengeschäft betrifft, plant man, sich ab sofort mehr auf Europa zu konzentrieren. „Wir glauben, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um zu investieren“, sagt Alejandro. „Wir sind seit 12 Jahren am Markt vertreten und haben einen Wandel bei Zigarrenrauchern bemerkt – nämlich, dass sie viel offener gegenüber Produkten aus anderen Ländern als der Dominikanischen
Republik oder Kuba geworden sind.“
Die zweitgrößte Fabrik in Mexiko ist Santa Clara Puros. Inhaber Jorge Ortiz Alvarez stammt aus einer traditionsreichen Tabakproduzenten-Familie. „Mein Vater und Großvater sowie mein Opa mütterlicherseits waren große Hersteller“, erzählt er. „Damals gab es keine Insektizide. Und so zahlte mir mein Großvater zehn mexikanische Centavos pro 750 ml-Rum-Flasche, die ich mit Würmern füllte.“
Ortiz produziert seit 1967 Zigarren, was bedeutet, dass Santa Clara die älteste noch bestehende Zigarrenfabrik in San Andrés ist. „In den 1960er-Jahren wurde eine Ernte meines Vaters durch Schädlingsbefall komplett zerstört und er musste von vorne beginnen – mit Bankdarlehen und allem Drum und Dran“, erinnert sich Ortiz.
Jorge Ortiz ist die treibende Kraft hinter den eingangs erwähnten Veränderungen. „Die damit verbundene Bürokratie war ein Alptraum. Als wir die Erlaubnis bekamen, reiste ich nach Estelí, um Herrn Cura zu treffen (Gustavo Cura von der Oliva Tobacco Company). ,Wir haben von diesem verrückten Typen aus Mexiko gehört, der viel Geld ausgibt, um nicaraguanischen Tabak kaufen zu können‘, erzählte man mir. Und ich antwortete: ,Das bin ich‘.“
Nun, da Santa Clara spannendere Blends im Repertoire hat, blickt man auch in Richtung China und Europa. „Ich denke, dass es nach der Aufhebung des Kuba-Embargos zu einer Zigarrenknappheit in Europa kommen wird. Und das ist der Moment, wo wir da sein wollen. In China nehmen wir an zahlreichen Veranstaltungen teil. Leider scheint es, dass die mexikanische Regierung Fehler gemacht hat, was die internationalen Beziehungen zu China betrifft, weshalb die Chinesen nicht glücklich über unseren Präsidenten sind. Wir hoffen, dass sich das ändern wird, damit wir mit dem Export beginnen können.“
Die Zigarrenszene in San Andrés ist wie eine kleine Familie. Jeder kennt jeden und niemand verkörpert das besser als der Besitzer der Marke Miranda – Fernando López Turrent, Alejandro Turrents Cousin und Jorge Ortiz’ Schwiegersohn. López Turrent gründete sein Unternehmen 1996 auf Initiative seiner Frau Carolina. „Sie dachte, dass wir eine Fabrik eröffnen sollten, weil es damals eine große Zigarrennachfrage in den USA gab“, erzählt er. „Nur ein paar Jahre später kam es zur großen Rezession und sie meinte, wir sollten die Fabrik schließen. Aber ich wollte das nicht, denn ich genoss es, Blends und Zigarren zu machen. Wir produzierten weiter, und 2004/2005 begann sich die Lage wieder zu verbessern. Wir starteten damit, kleine Mengen nach Europa zu exportieren.“
Der Name der Marke ist eine Hommage an Fernandos Großvater Emilio López Miranda. „Er war ein bekannter Mann in San Andrés, der viel für die Farmer im Tal machte.“ Bei Mirandas heimischen wie auch internationalen Kunden handelt es sich um kleine Unternehmen. In Mexiko verkauft man größtenteils direkt an lokale Vertriebshändler in den verschiedenen Bundesstaaten, Hotels, Restaurants und Geschäften, doch Ziel ist es, zu expandieren. Laut Fernando wird die Änderung der Beschränkungen dabei helfen. „Letztes Jahr importierten wir das erste Mal Tabak aus Nicaragua. Nun können wir komplexere Zigarren machen und mit Nicaragua, Kuba und der Dominikanischen Republik mithalten, was die Qualität betrifft. Wir wollen außerdem größere Vertriebspartner finden. Somit könnten wir uns mehr auf die Schaffung von Blends konzentrieren.“
Die 1945 gegründete Fabrik Puros Irene ist die einzige, die sich nicht in San Andrés befindet, sondern in der zwei Stunden entfernten Stadt Veracruz. „Meine Großmutter hatte Interesse an Zigarren und begann 1930 ihre eigenen zu rollen und am Hauptplatz zu verkaufen“, erzählt der heutige Besitzer Rodolfo Vázquez Andrade. „Dann schuf sie die Marke und hatte anfangs nur zwei Mitarbeiter, aber nach einer Weile waren es 20.“ Rodolfo stieg 1998 ins Geschäft ein. „Sie rief mich an und erklärte mir, dass sie nicht länger arbeiten könne und das Unternehmen entweder verkaufen oder an mich weitergeben würde. Mein Vater, ihr einziges Kind, war nicht interessiert, aber ich mochte Zigarren schon immer.“
Zu dieser Zeit verkaufte Puros Irene Zigarren nur im Inland, aber zwei Jahre später begann Rodolfo mit dem Export – in erster Linie nach Europa, das nach wie vor sein Hauptmarkt ist. Der Wunsch, die Aktivitäten auch nach Amerika auszuweiten, brachte einen bestens bekannten Partner ins Spiel: Carlos Slim, Inhaber von mehr Firmen, als man nennen kann, und einer der reichsten Männer der Welt. „Er kaufte schon Zigarren von meiner Großmutter und wollte bereits 1998 Partner werden“, erklärt Rodolfo. „Wir verhandelten und er begann, unsere Zigarren in seinen Sanborns-Geschäften zu verkaufen. 2007 erwarb er 70 Prozent der Fabrik.“
Leider verliefen die Dinge nicht so, wie Rodolfo sich das vorstellte, und die Kooperation endete im vergangenen Jahr. „Die Bürokratie seiner Unternehmensgruppe funktioniert bei größeren Betrieben, aber nicht bei uns. In diesen sieben Jahren sind wir kaum gewachsen und haben auch nicht den Sprung auf den US-Markt geschafft. Aber Carlos kauft und verkauft nach wie vor meine Zigarren.“ Der US-Markt hat nun hohe Priorität. „Ich exportiere bereits an drei kleine Vertriebshändler. Jetzt möchte ich aber ein Büro einrichten und die Formalitäten abwickeln, damit wir dort unsere Zigarren lancieren können.“
Nicht zuletzt gibt es die Tabacalera R. Paxtian, von Francisco Paxtian. „Wir sind klein, aber unverwüstlich“, scherzt Francisco, während er mir bei meinem Besuch in der Fabrik das Team vorstellt: seine Schwester, seinen Vater, seinen Neffen und seine Nichte. „Angefangen hat alles vor 100 Jahren, als mein Großvater mit dem Tabakanbau begann. Mein Vater startete dann im Alter von 14 Jahren damit, mit Tabak zu arbeiten, und widmete sein ganzes Leben dem Unternehmen. Und nun trägt die dritte und vierte Generation die Fackel weiter.“
Die Tabacalera R. Paxtian erzeugt nach wie vor Tabak, von dem ein Teil nach Nicaragua exportiert wird. 1995 startete man mit der Produktion eigener Zigarren. Aber wie bei so vielen anderen Tabakbetrieben hat man erst, seit es möglich ist, Tabak zu importieren, den Mut, im globalen Wettbewerb mitzumischen. Es bleibt abzuwarten, was die Zukunft bringt, doch man plant, in China Fuß zu fassen. „Der chinesische Markt öffnet sich“, meint Paxtian, „und es gibt zwar kein Freihandelsabkommen mit China, aber einige Leute, die an unseren Produkten interessiert sind. Wir waren bisher aufgrund der Einschränkungen nur nicht in der Lage, ihnen etwas zu schicken.“
Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Frühjahrs-Ausgabe 2016 veröffentlicht. Mehr