Genf, Freitag, 15. Januar, 11 Uhr, Hotel d’Angleterre. Wir haben ein Treffen mit Vahé Gérard, einem der bekanntesten Zigarrenhändler der Stadt. Sein Geschäft ist nur einen Katzensprung entfernt, in der Lobby des Grand Hotel Kempinski. Bevor wir uns die Treppe hinunter in das Raucherzimmer begeben, stoppt er bei der Rezeption und fragt nach einem Bogen Briefpapier. „Damit kann ich Sie in wenigen Sekunden von der Magie des Airkel-Systems überzeugen“, verspricht er.
Die Tür zur Cigar Lounge der Leopard Bar geht weit auf und Gérard bückt sich hinunter und platziert das Blatt Papier auf dem Boden, das sofort ganz von alleine ans andere Ende des Raumes gleitet. „Voilà“, meint er, und eine Spur von Triumph schwingt in seiner Stimme mit. „Das ist Airkel!“ Als wir das Zimmer queren, um das Stück Papier, das unter dem Sofa gelandet ist, aufzuheben, bemerken wir, dass der gesamte Boden mit tausenden kleinen Löchern versehen ist, aus denen Luft strömt.
Das von Gérard entwickelte Airkel-System basiert auf einem einfachen Prinzip: Jedes Loch im Boden hat ein Gegenstück in der Decke. Unterhalb der Bodendielen wird frische Luft zugeführt, während die Raumluft samt Rauch und Gerüchen durch die Löcher in der Decke entzogen werden. Das Resultat: „Durch diese konstante laminare Strömung kommt es alle zwei Minuten zu einem hundertprozentigen Luftwechsel. Das bedeutet: kein Kleidungsstück stinkt mehr nach Rauch. Wir können nun endlich alle – Raucher und Nichtraucher – in einem Raum zusammenbringen und erfüllen gleichzeitig die gesetzlichen Anforderungen.
Vier Hotels, ein Restaurant, ein Pub und ein Unternehmen – alle hier in der Schweiz – wurden bereits mit Airkel ausgestattet. Ein Dutzend anderer Projekte sind in Diskussion. Natürlich spricht man auch schon im Ausland über uns“, erklärt Gérard und zieht gemächlich an seiner Robusto, während der Rauch zur Decke aufsteigt. Im Raum ist weder ein Zug wahrnehmbar, noch das Geräusch eines Ventilators. Als ich das Zimmer nach zwei Stunden verlasse, bemerke ich, dass meine Kleidung geruchsfrei ist.
Das Airkel-Abenteuer beginnt 2010. In Vahé Gérards Büro stapeln sich Pläne, Skizzen und Prototypen. Experten in Sachen Luftzirkulation und Handwerker, die sich auf Holzverarbeitung spezialisieren, haben Machbarkeitsstudien durchgeführt. Um seine Erfindung auf die Probe zu stellen, röstete Gérard sogar Zwiebel in einem mit dem Airkel-System versehenen, geschlossenen Raum.
Das internationale Urheberrecht wurde im November 2010 eingetragen, doch Airkel verriet nicht alle seine Geheimnisse (wie etwa die Luftgeschwindigkeit, die es generiert). Zur Installation des Systems, für die fünf bis sechs Arbeiter notwendig sind, ist eine Lizenz erforderlich und die Kosten liegen zwischen 150.000 und 300.000 Schweizer Franken [135.000 bis 270.000 Euro], je nach Größe und Lage des Raums. Gérards Schwester Marie-Christine Gérard ist Präsidentin von GPF Concept, das das Airkel-System vermarktet, und seine Frau Annie zeichnet für Entwicklung und Kommunikation verantwortlich.
Die erste Airkel Cigar Lounge, ein ultramoderner Glaskubus, wurde im Starling Hotel in der Nähe des Genfer Flughafens eröffnet. „Vahé entzündete eine Rauchbombe im Zimmer, um die Effektivität von Airkel zu demonstrieren“, erinnert sich Laurent Luyat, französischer Sportjournalist und Zigarrenliebhaber. „Die Luft im Raum war vollkommen opak, aber zwei Minuten später konnten wir unbeschwert atmen.“
Der Zeitaufwand zur Installation von Airkel variiert je nach Ort. Im 150 Jahre alten Grand Hotel Park in Gstaad musste die bemalte Decke entfernt, mit Löchern versehen und danach wieder angebracht werden. Manager Thierry Kremper ist mit der im Dezember 2013 fertiggestellten Einrichtung sehr zufrieden. „Das Lokal ist stets voll, am Wochenende sind alle Plätze besetzt. Die neue, rauchfreie Atmosphäre hat das Geschäft angekurbelt. Selbst bei 30 Zigarrenrauchern sitzenden und 20 stehenden Zigarettenrauchern funktioniert das Lüftungssystem perfekt! Wir können Zigarren- und Pfeifenraucher problemlos Seite an Seite unterbringen.“
Die Cigar Lounge im Hotel d’Angleterre war vormals ein Fitnessstudio. Boden und Decke mussten erneuert werden und die Fauteuils und Sofas wurden so gestaltet, dass sie die Löcher im Boden so wenig wie möglich blockieren. In einem kleinen Raum gleich neben der Cigar Lounge befindet sich ein Gerät in der Größe von zwei Kühlschränken, das die zwei Ventilatoren zur Luftfilterung mit Energie versorgt: der eine lässt frische Luft herein, während der andere die verbrauchte Luft aus dem Raum abführt. Gérard, der gern ein wenig provokant ist, versichert uns: „Die Luft, die den Raum verlässt ist sauberer als jene, die hereinkam.“
Das System wird um 9 Uhr morgens eingeschaltet und abgedreht, nachdem der letzte Gast den Raum verlassen hat. Hoteldirektor Jean-Vital Domézon bereut die Investition von 250.000 Schweizer Franken [225.000 Euro] in das System keineswegs. Seine Cigar Lounge hat ihm eine neue Klientel gebracht und einen echten Vorteil: Er kann sie im selben Bereich wie die Stammkunden der Leopard Bar (80 Sitzplätze) willkommen heißen, die an die Lounge angrenzt und als Veranstaltungsort für Konzerte dient. „Bis 2008 rauchte die Hälfte unserer Gäste entweder Zigarren oder Zigaretten. Nachdem das Rauchen in öffentlichen Räumen verboten wurde, gingen unsere Umsätze zurück. Aber seit der Wiedereröffnung der mit dem Airkel-System ausgestatteten Lounge im September 2014 habe ich ein Phänomen beobachtet, das nur ein paar Jahre zuvor unvorstellbar war: Nichtraucher begleiten Zigarrenraucher in die Lounge!“ Die einzige Einschränkung: Auf den Tischen steht klar und deutlich „Bitte keine Zigaretten!“
Die Live-Konzerte aus dem angrenzenden Raum werden über einen Fernsehbildschirm übertragen, womit niemand die Performance versäumen muss. Domézon kann auch positive Auswirkungen bei den Verkäufen von feinem Whisky und Cognac verzeichnen und der renommierte Hersteller von Louis XIII, Rémy Martin hat zwei Vitrinen aufgestellt. „Das ist der Effekt von Airkel“, meint er lächelnd.
Der Airkel-Effekt ist auch an diskreten Orten anzutreffen, wo man ihn weniger erwarten würde, wie etwa dem Genfer Hauptsitz der Schweizer UBS-Bank. Das Beste ist hier für die vermögende Klientel gerade gut genug. Im ersten Geschoß des fünfstöckigen Gebäudes aus Glas und Stein kann man speisen; Spitzenköche mit Küchenteams agieren hier. Seit über einem Jahr besteht die Möglichkeit, geschäftliche Diskussionen bis zur Kaffeepause im Room 29 fortzusetzen, auf dessen linker und rechter Seite sich ein Airkel-Logo befindet. In der gereinigten Luft dieses 50 m2 großen Raums können 12 bis 15 Personen kubanische Zigarren aus dem von Gérard bestückten Humidor genießen: Montecristo Edmundo, Cohiba Siglo IV, H. Upmann Magnum 50 etc. „Es ist wirklich ein Plus“, sagt Laurent Chavanne von der UBS-Marketingabteilung. „Wir sind die erste Bank, die dieses System installiert hat. Hier handelt es sich um einen Mehrzweckraum, den wir bewusst relativ simpel halten. Wir können ihn komplett leeren und mit Tischen versehen, um ein Zigarren-Dinner zu veranstalten.“ Bisher hatten zwar nur UBS-Kunden Zugang, aber seit kurzem stehen die Räumlichkeiten auch Angestellten, die einen Zigarrenklub gegründet haben, zur Verfügung.
Apropos Zigarrenklubs: „Das Ganze stellt wahrlich einen Fortschritt dar, nämlich, dass eine größere Gruppe, ohne sich der Unannehmlichkeit von Rauch aussetzen zu müssen, zusammenkommen kann“, meint Michael Hamilos, Präsident des Cigar Circle Club International (CCCI) in Zürich, der regelmäßig im Hotel d’Angleterre sowie der Cigar Lounge des Luxushotels Atlantis by Giardino in Zürich zu Gast ist.
Es herrscht praktisch einhellige Begeisterung für Airkel. Bis dato haben die Duty-free-Zonen von Flughäfen „nein“ zu Airkel gesagt, weil sie befürchten, dass die Passagiere zu viel Zeit in den Cigar Lounges verbringen und deshalb vergessen, einzukaufen. „Wir müssen die Fluglinien noch überzeugen, das System in ihren VIP-Lounges zu installieren,“ sagt Vahé Gérard, macht sich aber nicht wirklich Sorgen darüber.
Während er wartet, richtet er sich an eine andere, fast ebenso vielversprechende Zielgruppe: Privatkunden. „Im 19. Jahrhundert gab es die Tradition von Rauchsalons im eigenen Zuhause. Ich habe bereits zwei solche Räume für Privatkunden geschaffen. In den guten alten Zeiten rauchte der Hausherr in seiner eigenen Ecke, während seine Frau anderswo im Haus ein Buch las. Heute können sie beides im selben Raum tun.
Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Frühjahrs-Ausgabe 2016 veröffentlicht. Mehr